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Die Kassiererin

Ich stehe bei REWE an der Kasse. Der junge Kassierer an der Nebenkasse dreht sich um und fragt die Kassiererin an meiner Kasse nach der Nummer der Radieschen. “741”, sagt sie.  Er dreht sich zurück und scannt weiter die Einkäufe seines Kunden ein. Dann dreht er sich wieder um: “Und die Nummer für die Gurken?” – “392.” Und kurz darauf noch einmal: “Und der Salat?” – “653.” Ich staune: “So viele Zahlen haben Sie im Kopf?” – “Ja”, antwortet sie lächelnd, “aber das Schlimmste ist, wenn das Sortiment sich ändert, dann ändern sich auch die Nummern und ich muss die alle neu lernen.” Ich hatte mir bis dahin noch nie Gedanken gemacht, was eine Kassiererin alles wissen muss und bin dankbar für ihre Kompetenz, auch für ihr schnelles Einscannen meiner Einkäufe.

Hast du dir schon mal Gedanken gemacht, was Menschen, die dich im Supermarkt oder in der Bäckerei bedienen, alles wissen und können müssen? Zeigst du deine Dankbarkeit, wenn du zügig und freundlich bedient wirst?

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Memorykärtchen

Ich habe für meinen Unterricht zu allen möglichen Grammatikthemen Memorykärtchen hergestellt. Ich nehme mit einer Gruppe die trennbaren Verben durch und wir spielen Memory. Einige Tage später reicht mir ein Junge ein Kärtchen und meint, er habe das in seiner Tasche gefunden. Das Kärtchen gehört zu den trennbaren Verben. Ich hatte noch nicht gemerkt, dass es fehlt. Das Kärtchen hat sehr gelitten, die Ecken sind eingeknickt und es ist zerknittert. Misstrauisch schaut mich der Junge an, unsicher, wie ich wohl reagieren werde. Ich nehme meinen Ärger wahr, dass das Kärtchen in so einem schlechten Zustand ist. ‘Vielleicht ist es vom Tisch gefallen und in seinen Rucksack und er hat es erst später entdeckt’, überlege ich. Und dann nehme ich Freude wahr, dass er es mir gegeben hat und ich es nicht suchen oder noch einmal basteln muss. Ich lächele ihn an: “Danke für das Kärtchen. So brauche ich es nicht zu suchen”. Er freut sich, sichtlich entspannt.

Kannst du, wenn ein Missgeschick passiert, die verschiedenen Gefühle wahrnehmen, die du deswegen hast? Und wenn du unterschiedliche Gefühle wahrnimmst, auf welches Gefühl hin reagierst du gewöhnlich?

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Gedanken

Um 6 Uhr 30 auf dem Weg zur Schule stehe ich an einer roten Ampel. Eine Frau mit einem Hund überquert die Straße. Wie das wohl ist, morgens vor der Arbeit noch eine Runde mit dem Hund durch die leeren Straßen zu drehen? Weiter auf dem Weg fahre ich an einem Apartmentblock vorbei. Einige Fenster sind erleuchtet. Wer da wohl gerade aufsteht? Macht sich die Person für die Arbeit fertig? Läuft das Radio? Ob die Kaffeemaschine schon blubbert? Da bemerke ich, dass meine Gedanken die ganze Zeit von meiner Umgebung bestimmt werden und nicht mehr von mir. Ich reiße mich von dem Außen los und entscheide mich, meine Gedanken ganz bewusst auf die Schule zu lenken und auf die Arbeit mit meinen Schüler*innen heute.

Bist du dir normalerweise bewusst, was du gerade denkst? Wie oft bestimmst du deine Gedanken und nicht sie dich?

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Mir und anderen gerecht werden

Eine syrische Schülerin ist ganz neu an die Schule gekommen. Sie spricht noch kein Wort Deutsch. Alle Gruppen, die ich in Deutsch als Zweitsprache unterrichte, sind inzwischen schon wesentlich weiter. Wo integriere ich sie am besten? Als ich sie dann in einer Gruppe zusätzlich nebenher betreue, funktioniert das nur mehr schlecht als recht. Wenn ich mich um sie kümmere, wird die Gruppe laut und arbeitet nicht weiter und wenn ich mit der Gruppe arbeite, hört sie auf zu arbeiten und guckt, was ich mit den anderen mache. Wie soll ich es nur machen? Ich überlege, der Gruppe Zeit zu kürzen und dem Mädchen Einzelunterricht zu geben. So gerne würde ich sie darin unterstützen, dass sie Grundkenntnisse in Deutsch erwirbt und gleichzeitig würde ich auch gerne mit der Gruppe im gewohnten Tempo weiterarbeiten. Ich möchte allen gerecht werden und was auch immer ich tue, ich finde die Situation unbefriedigend. Ich sehe im Moment nur eine Möglichkeit: Die Situation so anzunehmen, wie sie ist.

Gibt es Situationen, in denen du mehreren Personen oder Gruppen gerecht werden möchtest? Kannst du es annehmen, wenn das (gerade) nicht geht?

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Wortgeschenk

Ich lese einen Jugendroman. Der 16-jährige Nick geht für ein Austauschjahr nach Australien. Dort verliebt er sich in die gleichaltrige Sienna. Die beiden nähern sich einander an und machen einander Wortgeschenke. Ich bin von dieser Idee so inspiriert, dass ich allen, die mich hier auf meiner Seite besuchen, das Wort “beseelt” schenken möchte. Beseelt.

Gibt es Worte, die du verschenken möchtest? Wem?

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Die Klappschmier

Wir essen nach dem Seminar alle zu Abend. Es gibt eine große Wurstplatte, eine Käseplatte und verschiedene Salate. Wir können gar nicht alles aufessen. Eine Teilnehmerin sagt: “Na, dann mach ich mir noch eine Klappschmier für später.” Ich stutze. Eine Klappschmier … Was war denn das nochmal! Es dauert einen Moment, dann fällt der Groschen: Klappschmier ist ein belegtes Brot auf Saarländisch. Ich tauche ein in ein tiefes Gefühl des Wohlbefindens und lache herzlich los. Wie lange habe ich dieses Wort nicht gehört! Es ruft Erinnerungen an wohliges Umsorgen herauf. Ich sehe meine saarländische Patentante, die mich als kleines Mädchen liebevoll umsorgt und mir ein Brot schmiert – eine Klappschmier eben.

Gibt es Worte, die wohlige Erinnerungen in dir hervorrufen?

(Danke, Steffi, für dieses Wortgeschenk.)

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Weihnachtsgeschenk

Es ist der erste Weihnachtsfeiertag. Ich fahre in die Stadt zur Messe. Es sind kaum Menschen unterwegs, die Straßen sind leer.  Das Auto vor mir macht einen großen Bogen. Ich vermute, dass es einem Radfahrer ausweicht. Als das Auto an dem Hindernis vorbei ist, sehe ich, dass es eine Frau mit einigen Stofftaschen ist, die auf der Straße steht und mit der Hand winkt, weil sie mitgenommen werden möchte. Ich halte an und lasse sie einsteigen. Sie ist Russin. In gebrochenem Deutsch erzählt sie mir: “Die Autos halten nicht. Die Menschen haben Angst. Warum? Ich bin eine alte Frau.” Als ich an der Johanniskirche parke, verabschiedet sie sich überschwänglich mit den Worten: “Spasiba! Spasiba! Sie sind ein Geschenk für mich.” Ich bin überwältigt: Für so wenig erhalte ich so viel Dankbarkeit.

Welches Weihnachtsgeschenk hast du erhalten, das dich tief berührt hat? Welches Geschenk hast du gemacht, das das Gegenüber tief berührt hat?

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Onsen

Der junge Japaner erklärt in flüssigem Englisch die Verhaltensregeln in japanischen Thermalbädern, den Onsen. Etwa 9 Minuten lang habe ich die Gelegenheit, diesen jungen Mann in einem Video auf YouTube kennenzulernen. Ich erlebe einen Menschen in einem fernen Land auf einem anderen Kontinent, dem ich in meinem Leben niemals begegnen werde. Es ist ein Fenster in ein mir fremdes Leben in einer mir fremden Kultur. Da lebt ein mir unbekannter Mensch und gewährt mir einen kurzen Einblick in sein Leben. Zum allerersten Mal wird mir so deutlich bewusst, dass andere Menschen – dass zum Beispiel dieser junge Japaner zur selben Zeit wie ich auf dieser Erde lebt! Er sieht denselben Mond, dieselben Sterne, dieselbe Sonne wärmt ihn. Alles, was uns miteinander verbindet ist, dass wir gleichzeitig auf der Erde weilen. Während unsere Lebenskonzepte nicht im geringsten miteinander vergleichbar sind.

Ist dir schon einmal bewusst geworden, dass du die Erde mit Menschen teilst, die völlig andere Rahmenbedingungen, Vorstellungen und Hoffnungen haben als du?

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Minimalismus

Ich schaue mir auf YouTube ein Video eines jungen Mannes an, der ein vierwöchiges Experiment zum Thema Minimalismus durchführt. Dafür räumt er seine Wohnung ganz leer. Er beginnt das Experiment mit nur den Kleidern, die er trägt und schläft auf dem Boden. Jede Woche will er nur das dazu nehmen, was er für sich als unbedingt notwendig erlebt. In der ersten Woche ist es seine Matratze und eine Decke. In den darauf folgenden Wochen sind es Wechselkleider und Toilettenartikel. Ich bin total fasziniert von seinem Experiment und es macht mich nachdenklich. Ich kann mir nicht vorstellen, so minimalistisch zu leben und doch schaue ich mit einem kritischen Blick in mein Bücherregal und in meinen Kleiderschrank. Ich trenne mich von fünf Büchern und zwei Kleidungsstücken.

Wovon kannst du dich jetzt trennen?

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Die Rechnung

Ich leiste mir in unregelmäßigen Abständen die Behandlung einer Physiotherapeutin. Im Oktober war ich drei Mal bei ihr. Am Ende des Monats bekomme ich eine Rechnung über zwei Behandlungen. Verdutzt überprüfe ich die Termine. Habe ich etwas übersehen, oder sie? Nein, in meinem Kalender habe ich drei Termine eingetragen. Mein erster Gedanke ist: “Wenn sie nur Geld für zwei Termine will, überweise ich ihr nur zwei Termine. Da spare ich Geld!” Genauso mache ich es dann auch. Das Thema lässt mich dennoch nicht los. Sie hat mich drei Mal behandelt. Sie hat drei Mal ihre Zeit und ihre Kompetenz investiert. Wie gehe ich damit um? Auch ich möchte für die Arbeit, die ich geleistet habe, mein Geld bekommen. Dann fällt mir noch die Redewendung ein: “Behandle andere Menschen so, wie du behandelt werden möchtest!” Mit der nächsten Rechnung überweise ich ihr den fehlenden Betrag.

Wie möchtest du behandelt werden? Und wie behandelst du andere?

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