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Chica

Ich wohne in einer Einliegerwohnung und habe eine Katze, die Freigängerin ist. Mein Vermieter wohnt mit 97 Jahren noch im Haus und hat eine 24-Stunden Hilfe, Monica eine ältere Frau aus Litauen. Monica liebt Katzen auch und hat irgendwann angefangen, meiner Katze Futter zu geben. Sie erwähnte irgendwann in einem Gespräch, wie schön sie es findet, Katzenbesuch zu bekommen und dass meine Chica es sich oft bei ihnen auf dem Sofa gemütlich machen würde. Nachts war Chica bei mir, aber tagsüber drängte sie immer raus und ich habe sie bis zum Abend nicht gesehen. Irgendwann machte Monica 14 Tage Urlaub und eine andere Pflegekraft kam als Ersatz. Plötzlich hatte ich eine ganz andere Katze: Eine vollkommen ruhige, eine, die gerne bei mir drinnen blieb und die meine Wohnung nicht mehr so dringend verlassen musste. Ich stelle fest: Ich bin bereit, mein Essen zu teilen, meine Zeit zu verschenken oder mit Geld zu unterstützen. Aber was meine Katze betrifft, möchte ich, dass sie ihr Zuhause bei mir hat.

Was gibst du gerne ab und was möchtest du lieber für dich behalten?

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Auf dem Friedhof

Ich spaziere über den Alten Friedhof. Vor einem neuen Grab steht eine Frau und weint. Mein erster Impuls ist es, auf sie zuzugehen und ihr die Hand auf die Schulter zu legen. Da ist jemand, du bist nicht alleine. Auch wenn ich dir diesen Schmerz nicht abnehmen kann, so kann ich ihn doch einen Moment mit dir tragen. Meine Schritte führen mich an ihr vorbei. Das kannst du nicht machen. Du kennst sie nicht. Das will sie bestimmt nicht. Auf meinem weiteren Weg bereue ich, nicht auf meinen ersten Impuls gehört zu haben. Ich hätte sie doch zumindest fragen können, ob sie einen Moment des Beistandes wolle.

Kennst du es, dem Impuls, auf andere zuzugehen nicht gefolgt zu sein? Erinnerst du dich an ein Beispiel? Welche Gedanken haben dich daran gehindert, dem Impuls zu folgen?

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Geimpft? Ungeimpft?

Ich besuche eine Freundin, die ungeimpft und gegen die Corona-Impfung eingestellt ist. Sie berichtet mir, dass sie am nächsten Tag zur Demo in der Stadt gehe. Ich solle doch auch kommen. “Nein”, sage ich, “das ist nicht mein Thema.” – “Aber, ich darf doch wohl noch sagen, dass ich hingehe, oder?” Es entsteht eine Spannung zwischen uns. “Klar darfst du sagen, dass du zur Demo gehst und gleichzeitig ist mir wichtig, dass wir uns über das unterhalten, was uns verbindet und nicht über das, was uns trennt.” Es entsteht eine Pause. Schweigen. Werden wir es schaffen, dieses Thema zu umschiffen? Mir ist der Kontakt so wichtig, dass ich mich nicht über das Thema geimpft oder ungeimpft zerstreiten möchte. Nach einer Weile schaut sie mich an, lächelt und beginnt von etwas anderem zu erzählen. Ich freue mich und bin erleichtert. Geschafft!

Gelingt es dir – gerade bei diesem Thema – in der Familie und Freundschaften auf das zu schauen, was euch verbindet und nicht auf das, was euch trennt?

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Kopierkarte

Alle Lehrkräfte in der Schule haben eine eigene Kopierkarte. Die beiden Kopiergeräte sind mit jeweils einem kleinem Lesegerät ausgestattet, in das wir unsere Karte hineinschieben. Die Anzahl der gemachten Kopien wird dann auf unserer Karte abgezogen. Sobald wir mit dem Kopieren fertig sind, drücken wir auf die Taste “Ende” des Lesegerätes und es spuckt die Kopierkarte wieder aus. Nur, so einfach ist das nicht. Zuerst macht das Lesegerät ein surrendes Geräusch. Dann fährt die Karte einige Millimeter heraus und man denkt automatisch: “Ah, fertig! Super. Schnell zurück in den Unterricht.” Aber nein. Das Lesegerät zieht die Kopierkarte wieder ganz ein und fängt erneut an zu surren. Erneut kommt die Kopierkarte ein Stück heraus, um direkt wieder eingezogen zu werden und dann erst ist der Vorgang für das Lesegerät abgeschlossen. Es muss die Karte nur noch herausschieben, und ich kann sie wieder einstecken. Ich kenne die Geräte nun schon seit einigen Jahren. Ich weiß, dass ich circa 10 Sekunden auf meine Karte warten muss. An diesem Morgen jedoch könnte ich explodieren: “Das gibt’s doch nicht, dass das so lange dauert. Jetzt beeil doch endlich mal, Maschinchen. Komm in die Pötte. Jetzt mach schon! Beeil dich!” Es hilft nur alles nichts. Die Zeit, bis das Lesegerät meine Karte herausschiebt, lässt sich einfach nicht abkürzen. Während ich mit dem Lochen der Kopien beschäftigt bin, fällt mir auf, wie angespannt ich an diesem Morgen bin: “Ach guck mal an, wie genervt du heute bist! Das ist ja interessant. Du stehst total unter Strom. Sonst hast du die Ruhe weg, bis das Gerät deine Kopierkarte ausspuckt …” Und schon werde ich etwas ruhiger und bekomme etwas mehr Abstand zu meinen Gefühlen und bin nicht mehr ganz so darin verfangen.

Bemerkst du, wenn du angespannt bist oder unter Druck stehst? Gelingt es dir, Abstand zu deinen Gefühlen zu gewinnen und nicht mehr  darin verfangen zu sein?

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Telefonwarteschlange

Ich suche eine Zugverbindung von Saarbrücken nach Gerona in Spanien. Auf der Webseite der Deutschen Bahn finde ich keine Angabe über den Preis. Ich rufe die Auskunft an. Als ich nach etlichen Auswahlmöglichkeiten endlich an der richtigen Stelle ankomme, heißt es: “Ihre voraussichtliche Wartezeit beträgt 22 Minuten”. Ich lege frustriert auf. Etwas später versuche ich es erneut. Diesmal liegt die Wartezeit bei 16 Minuten. Ich bleibe in der Leitung und warte. Und warte. Und warte. Irgendwann habe ich tatsächlich jemanden in der Leitung. Nach Schilderung meiner Frage sagt die Person, sie sei da die falsche Adresse und vermittelt mich an die Auslandsabteilung. Und wieder hänge ich in der Warteschleife. Nein, ich gebe nicht auf. Was ist die Alternative? Zum Bahnhof fahren? Nein. Ich warte. Ich stelle das Telefon auf Lautsprecher und fange nebenher an zu kochen. Ich wasche das Gemüse und schneide es klein. 10 Minuten vergehen. Ich wasche den Salat und bereite die Soße zu. Weitere 8 Minuten vergehen. Ich werde zunehmend genervt. Ich möchte einfach nur eine Auskunft haben, und muss dafür so viel Zeit investieren? Warum dauert das nur so lange! Ob die mich vergessen haben? Ob die vielleicht eine Leitung haben, die ins Nichts führt, wenn die Mitarbeiter überlastet sind oder eine Pause wollen? Nach weiteren 10 Minuten meldet sich tatsächlich eine Frau und fragt mich ganz freundlich, wie sie mir helfen kann. Ich wiederhole meine Frage. Dafür müsse sie ins Netz der SNCF und bittet um Geduld. Und wieder heißt es warten. Leider käme sie da gerade nicht rein, teilt sie mir mit, aber sie versuche es weiter. Ich werde richtig unruhig. Jetzt hänge ich schon über 30 Minuten am Telefon – für nichts! Mir reicht’s. Am liebsten würde ich die Frau anbrüllen! Stopp — Ich bremse mich. Wahrscheinlich hat die Frau ja keine Ahnung, wie lange ich schon gewartet habe. Ich glaube nicht, dass sie das irgendwo ersehen kann. Und dass sie nicht ins Netz kommt, ist auch nicht ihre Schuld. Und wie heißt es? Shit happens. Ich atme tief durch, bedanke mich für ihre Bemühungen und lege auf.

Kannst du dich bremsen, wenn du wütend wirst? Z.B. indem du dir überlegst, ob die Person, an der du deine Wut auslassen willst, für die Situation überhaupt verantwortlich ist?

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Sauna II

Im Ruheraum in der Frauensauna klingelt ein Handy. Das Klingeln kommt aus einer Tasche, die neben einer Liege steht, auf der gerade niemand liegt. Das Klingeln hält an. Die Frauen im Ruheraum werden unruhig und fangen an, laut zu überlegen, was man da machen könne. Auch mich irritiert das Klingeln. Mir fällt nur nichts ein, was ich unternehmen könnte, also versuche ich, ruhig zu bleiben. Das Klingeln geht weiter. Erst nach einer ganzen Weile hört es auf. Endlich kehrt wieder Ruhe ein. Als eine Frau den Raum betritt und auf die Liege zugeht, neben der die Tasche mit dem Handy steht, empören sich einige Frauen, die in ihrer Nähe liegen: “Ihr Handy hat eine Ewigkeit geklingelt!” – “Das ist unverschämt …” – “Ja, das ist wirklich eine Unverschämtheit.” Die Frau schaut sich verwundert um. Ich frage mich, ob sie vielleicht vergessen hatte, dass sie das Handy in ihrer Saunatasche hat? Oder wusste sie, dass es dort ist und hatte vergessen, es leise zu stellen? Oder hat sie vielleicht auf einen wichtigen Anruf gewartet? Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass sie das Handy bewusst auf laut eingestellt gelassen und in Kauf genommen hat, die Frauen im Ruheraum gegebenenfalls zu stören.

Was beobachtest du, wenn du etwas als unverschämt verurteilst? Und könnte es vielleicht auch ganz andere Gründe für das Verhalten geben, das du verurteilst?

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Tango tanzen II

Ich habe meine 5. Tangotanzstunde. Das Paar, das uns unterrichtet, hat eine Milonga organisiert, zu der sie auch uns Anfänger einlädt. “Es ist wirklich gut, sich sofort zu trauen zu tanzen. Dabei lernt man am meisten,” sagen sie. Mich setzt das total unter Druck. Ich habe noch keine Sicherheit im Vorwärtsgehen, geschweige denn darin, wie man rückwärts geht. Das wäre purer Stress für mich. Die Tanzlehrerin insistiert: “Du lernst Tango nur, wenn du Pistenkilometer zurücklegst.” Den Spruch höre ich später noch einige Male von anderen erfahrenen Tangotänzer*innen. Ich fühle mich noch zu unsicher und es ist mir noch viel zu früh für eine Milonga. Höre ich nun auf mich oder auf den Ratschlag der anderen?

Auf wen hörst du? Auf dich oder auf Ratschläge von anderen?

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Falsche PIN

Ich fahre über das Wochenende weg. Am Samstag bemerke ich, dass mein Smartphone die falsche Uhrzeit anzeigt. Ich entscheide mich, es neuzustarten. Als ich die PIN eingeben soll, nehme ich die Zahl, die mir als erstes einfällt: falsche PIN. So ein Mist. Ich kann mich nicht an die richtige erinnern. Es ist abends. Ich entscheide mich, es am nächsten Morgen noch einmal zu probieren. Als ich im Bett liege, fällt mir ein, dass ich meine Zugtickets auf meinem Smartphone gespeichert habe. Wie komme ich jetzt nach Hause? Schlagartig bin ich hellwach. Diese Geschichte wird mir doch kein Schaffner abkaufen. Was soll ich machen? Es ist Nacht. Schließlich entscheide ich mich ganz bewusst, das Thema ruhen zu lassen, da ich jetzt sowieso nichts unternehmen kann. Morgen wird mir bestimmt schon irgendeine Lösung einfallen. Ich schlafe gut ein. Am nächsten Tag findet sich jemand, die mir mein Ticket über ihren PC ausdruckt.

Kannst du ein Thema ruhen lassen, wenn es zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht geklärt werden kann?

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Mercedes-Fahrer

Ich lernte A. vor zwei Jahren auf einem sich jährlich wiederholenden Treffen kennen. Auch wenn wir in diesem Jahr wenig miteinander zu tun hatten, fand ich ihn und seine Art sehr angenehm. Im Jahr darauf sind wir mehr ins Gespräch gekommen. In einer Mittagspause sind wir spazierengegangen und hatten ein gutes und inspirierendes Gespräch. Dieses Jahr haben wir uns beide richtig gefreut, uns wiederzusehen und tauschten uns darüber aus, wie es uns in der Zwischenzeit ergangen ist. In einer Pause begegne ich A., als er zum Parkplatz geht und mein Blick fällt auf sein Auto: Ein Mercedes der S-Klasse. Ich falle aus allen Wolken. Ich merke, wie alle meine Vorurteile gegen Fahrer*innen bestimmter Automarken vor meinem inneren Auge vorbeirattern. Und so wie ich A. kennengelernt habe, passt er so gar nicht zu diesen Vorurteilen. Wie gehe ich jetzt damit um? Ich brauche etwas Zeit, um das zu verdauen. Und am Ende bin ich sehr froh, dass ich A. kennengelernt habe – ohne zu wissen, welches Auto er fährt.

Verstellen dir manchmal auch Vorurteile, die du hast, den Blick auf den Menschen dahinter?

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Am Bahnhof

Ich bin am Bahnhof und warte auf meinen Zug. Ich schaue mich um und beobachte, was um mich herum so passiert. Von links sehe ich einen Penner heranschlurfen — und sofort stoppe ich mich. Was beobachte ich, dass ich das Urteil Penner benutze? Der Mann zieht seine Füße beim Gehen nach. Ein Gürtel hält seine schmutzige Hose, die ihm eine, vielleicht zwei Nummern zu groß ist. In jeder Hand hält er mehrere Plastiktüten. Seine Haare stehen in alle Richtungen ab. Mir fällt eine indianische Weisheit ein: Urteile nicht über einen Menschen, bevor du nicht 7 Meilen in seinen Schuhen gegangen bist! Ich weiß nichts über diesen Menschen, wie kann ich da ein Urteil fällen? Ich weiß nicht, woher er kommt und ich weiß nicht im entferntesten, was er in seinem Leben vielleicht schon alles durchgemacht hat.

Was genau beobachtest du, wenn du ein Urteil über einen Menschen fällst? Probiere einmal, statt ein Urteil zu fällen, bei der Beobachtung dieser Person zu bleiben. Was genau siehst du? Was trägt sie? Wie verhält sie sich?

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