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Den Garten gießen

Zwei Frauen aus dem Baltikum kümmern sich um den betagten Herrn im Haus. Die ältere Frau ist für die Küche und die Wäsche zuständig. Sie spricht nur ein paar Brocken Deutsch. Die jüngere spricht sehr gut Deutsch. Ich plaudere öfter mit ihr und sie erklärt mir, sie kümmere sich um alles andere im Haus und den Garten. Sie würden sich schon lange kennen und gerne zusammen arbeiten, die ältere Frau und sie selbst, erzählt sie mir.
Irgendwann gehe ich mit einem Nachbarn spazieren und er erzählt mir, dass er die beiden Frauen im Garten gesehen habe. Die Jüngere hätte den Garten gegossen und die Ältere hätte hinter ihr gestanden und aufgepasst, dass sie alles richtig macht..

Wenn du Menschen beobachtest, was genau beobachtest du? Was genau machen die Personen? Was genau sagen sie, wenn es sich um ein Gespräch handelt?

Versuche einmal, von einer Situation nur die Fakten zu benennen. Alles andere ist Interpretation.

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Ferienlektüre

Teil 1

Ich verbringe meinen Urlaub auf einem Zeltplatz am Meer. Ich habe zwei Bücher mitgenommen und merke dort erst, dass mich die beiden Bücher nicht ansprechen. Ich überlege, was ich machen kann. Ich spreche ein Paar in einem deutschen Wohnmobil an und frage sie, ob sie vielleicht Bücher dabei hätten, die sie schon ausgelesen hätten und weiterzugeben bereit wären. Sie müsse mal schauen, antwortet die Frau.
Am nächsten Morgen sitze ich vor dem Zelt und frühstücke. Die Frau aus dem Wohnmobil kommt mit einem Stapel Bücher auf mich zu. Diese Bücher hätten sie schon ausgelesen, die könne ich haben, sagt sie. Ich freue mich: Da wird bestimmt etwas für mich dabei sein.

Hast du schon mal um etwas gebeten? Wie war das für dich? Konntest du leicht darum bitten? Oder fiel es dir schwer?

Wurdest du schon mal um etwas gebeten? Hast du es geben oder tun können? Hast du es aus freiem Herzen geben oder tun können?

Teil 2

Die Frau beginnt, mir jedes Buch einzeln zusammenzufassen und zu berichten, wie sie selbst und ihr Mann es fanden. Sie erzählt, wo das eine Buch spiele und dass sie diese Orte abgefahren und auch in dem Restaurant gewesen seien, das in dem Roman erwähnt wird. Sie erzählt mir von diversen anderen Fahrten mit dem Wohnmobil, wo sie schon gewesen seien, was sie dort erlebt hätten und warum sie an bestimmte Orte nicht mehr fahren würden und warum sie so gerne an diesen Ort hier kämen. Sie erzählt mir von einer Panne auf der Autobahn, was ihnen dabei passiert sei, wie lange sie auf den Abschleppdienst gewartet hätten, was der dann gemacht habe und wie heiß es da gewesen sei und dass sie nichts zu trinken dabei gehabt hätten.
Ich sehe auf meinen Teller. Ich habe mein Brot nur zur Hälfte gegessen und meinen Kaffee zur Hälfte getrunken. Die Frau erzählt weiter.
Ich freue mich über die Bücher und würde auch gerne weiter frühstücken. Ich nehme einen Anlauf, um sie zu unterbrechen und nehme meine Gedanken wahr: Jetzt hat die Frau dir die Bücher gebracht, da darfst du doch nicht unhöflich sein und sie unterbrechen.
Ich werde ungeduldig. Ich möchte weiter frühstücken. Meine Zuhörkapazität ist schon lange erschöpft. Ich höre nicht mehr zu. Meine Gedanken hindern mich daran, sie zu unterbrechen. Nach weiteren langen Berichten kommt irgendwann ihr Mann, der sie sucht und sie gehen. Ich bin erleichtert und kann endlich zu Ende frühstücken.
Ich habe Höflichkeit über Selbstfürsorge gestellt. Ich nehme mir vor, das nächste Mal besser für mich zu sorgen.

Wie oft hast du jemandem schon länger zugehört, als du wirklich wolltest? Was hat dich daran gehindert, dein Gegenüber zu unterbrechen? Wie ging es dir in der Situation?

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Verbindung

Ich plaudere mit einem Bekannten. Ich erzähle, was mir gerade passiert ist: Ich wollte etwas im Internet bestellen, mit Kreditkarte bezahlen und die Zahlung wurde abgelehnt. Er erzählt mir, was einem Freund von ihm mal mit seiner Kreditkarte passiert sei.
Ich erzähle, dass ich gerade etwas über Ebay verkaufe. Er berichtet mir davon, was er mal von jemandem gehört habe und was dem bei Ebay passiert sei.
Ich erzähle von einem Fernsehbericht, den ich gerade gesehen hatte und den ich sehr interessant fand. Er erzählt von einem anderen Freund, dem mal etwas Ähnliches wie in dem Bericht passiert sei.
Ich werde zunehmend irritiert und unruhig. Was ist es, das mich unruhig macht, frage ich mich.
Ich erzähle von dem, was mir in den letzten Tagen passiert ist und was auch noch sehr lebendig in mir ist. Er erzählt nichts von sich, sondern von Menschen, die ich nicht kenne. Ich wünsche mir Verbindung. Ich würde gerne wissen, was er gerade erlebt und was gerade in ihm lebendig ist.

Wo erlebst du Verbindung? Mit dir selbst?  Bist du in Verbindung mit dem, was gerade in dir lebendig ist? Kannst du es wahrnehmen?

Bist du in Verbindung mit einem anderen Menschen? Weißt du was ihn/sie gerade bewegt?

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Guten Morgen

Gegen 7 Uhr morgens stehe ich auf dem Weg zur Schule an einer roten Ampel. Eine Frau in Arbeitsanzug sammelt auf dem Bürgersteig Müll auf. Ich öffne das Beifahrerfenster und rufe ihr “Guten Morgen” zu. Sie schaut verwundert auf, sieht mich und ein Lächeln breitet sich auf ihrem Gesicht aus. “Ich wünsche Ihnen einen wunderschönen Tag”, füge ich hinzu. “Das wünsche ich Ihnen auch”, antwortet sie. Die Ampel springt auf Grün und ich fahre weiter. Ich spüre eine große Freude durch diesen kurzen Kontakt mit einer mir völlig unbekannten Person. Erst im Weiterfahren bemerke ich, dass in dem Kontakt ein Wohlwollen und eine Freundlichkeit entstanden sind, die mich in den Vormittag tragen.

Wann hat dir zuletzt eine unbekannte Person ein Lächeln geschenkt? Konntest du es annehmen? Was hat es in dir ausgelöst?

Wann hast du zuletzt einer unbekannten Person ein Lächeln geschenkt? Wie hat sie reagiert?

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Gerädert

Ich wache auf und fühle mich gerädert und erschlagen. Ich erinnere mich an das Buch von Mechthild von Scheurl-Defersdorf über die Kraft der Worte (siehe 7. März), an die Wechselwirkung zwischen der Sprache, die ein Mensch spricht und dem, was die Person in ihrem Leben erlebt. Und ich formuliere um: Ich fühle mich heute schwer und ohne Energie.

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Gehört werden

Ich komme aus dem Garten zurück und merke, dass die Thermoskanne, die ich mitgenommen hatte, ausgelaufen ist. Das Buch, das ich dabei hatte, ist nass geworden. Gottseidank war es nur Wasser. Das Buch ist aus der Bibliothek und da mir so etwas schon mal passiert ist, weiß ich, dass die Bibliothek das Buch nicht zurücknimmt und den Preis für ein neues verlangt. So ein Ärger.
Eine Freundin ruft an. Ich erzähle ihr, was mir gerade passiert ist. “Ach, vergiss es”, sagt sie. Wie soll ich das vergessen? Das Buch liegt gerade vor mir in der Sonne zum Trocknen. “Ich finde das total ärgerlich”, wiederhole ich. “Ich leihe mir doch gerade Bücher aus, um mir keine kaufen zu müssen. Das ist so unnötig.” – “Das passiert halt schon mal”, meint sie dann noch.

Und ich würde einfach nur gerne gehört werden, z.B.: “Ja, es ist so nervig, dass das Buch nass geworden ist und du es jetzt bezahlen musst. Du leihst dir doch gerade Bücher aus, damit du keine kaufen musst, oder?”

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Wer ist “man”?

Ich stehe im Lehrerzimmer mit einer Kollegin an der Kaffeemaschine, die auf der Geschirrspülmaschine steht. Sie öffnet die Geschirrspülmaschine, schaut rein und meint: “Oh, die müsste man auch mal wieder anstellen.” Und ich frage sie: “Und wer ist man?” Später habe ich Zeit und stelle die Maschine an.

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53 Nachrichten

Ich bin in einer Whatsapp-Gruppe von meinem Chor. Da wir uns zur Zeit nicht treffen können, gab es einen kurzen Austausch in der Gruppe, wie es uns so geht während der Corona-Zeit. Ich habe anschließend mein Smartphone weggelegt und erst viel später wieder draufgeschaut. In der Zwischenzeit waren 53 Nachrichten eingegangen. Als ich nachschaute, sah ich, dass sich 2-3 Teilnehmerinnen der Chor-Whatsapp-Gruppe intensiv über ein Rechenrätsel ausgetauscht hatten. Also nichts, was mit dem Chor zu tun hat. Ich war richtig verärgert. 53 Nachrichten!
Ich war eine ganze Weile mit dem Ärger verhakt: “Können die sich denn nicht privat mit Rechenrätseln beschäftigen? Ich finde Matherätsel einfach nur doof. Das müssen doch nicht alle mitkriegen! 53 Nachrichten. Das nervt!” Darauf habe ich ganz schön lange rumgekaut. Dann erst konnte ich nach meinen Bedürfnissen schauen: Mir ist eine effektive Nutzung und Klarheit in der Struktur wichtig, d.h. für mich, dass ich die Whatsapp-Gruppe Chor für Sachen, die den Chor angehen nutzen möchte, z.B. für Terminabsprachen, den Austausch über Noten und Lieder usw. Erst als ich für mich klar hatte, worum es mir geht, konnte ich in die Freude reinspüren, die diese 2-3 Frauen an und mit dem Rechenrätsel hatten.
Und mir ist dabei nochmal klar geworden, wie wichtig es ist, dem Ärger und den ‘Wolfsgedanken’ Raum zu geben. Nur dann können sie sich wieder beruhigen. Auch sie wollen gesehen und gehört werden.

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Kürbiskerne

Ich bin begeisterte Gärtnerin und habe ein Grundstück von der Stadt gepachtet. In dem wachsen Obststräucher, Zwergobstbäume, Blumen und Gemüse. Für die kommende Saison will ich Hokkaido-Kürbisse vorziehen. Ich könnte Samen oder sogar Pflänzchen kaufen. Ich entschließe mich aber, einen Hokkaido zu kaufen, daraus etwas zu kochen und diese Samen zu verwenden. Als ich den Kürbis öffne, bin ich völlig verblüfft über die Anzahl der Kerne. Natürlich habe ich schon öfter Kürbisse gekauft und etwas damit gekocht, nur bin ich mir bisher noch nie der großen Anzahl der Kerne so bewusst geworden. Ich habe sie dann tatsächlich gezählt. An die 100 waren es! Aus einem Kürbis lassen sich, sollte man denn den Platz dafür haben, ca. 100 weitere Pflanzen ziehen. Die wiederum produzieren je nach Wetter und Bodenbeschaffenheit jede 2-4 Kürbisse.

Mir geht es hier nicht um Gartenweisheiten. Worauf ich hinaus will, ist die schiere Fülle, die ich im Innern des Kürbisses vorfand. Und das an einer völlig unerwarteten Stelle und zu einer Zeit, als noch ein Mangel im Außen ist: Die meisten Geschäfte sind geschlossen und Kontakte sollen möglichst vermieden werden.
Und da war die Fülle. Mitten im Kürbis: Die Entdeckung hat mir solche Freude bereitet und sie hat mich eine ganze Zeit lang getragen und genährt. Und auch jetzt wieder, beim Schreiben, kann ich daran anknüpfen.

Kennst du Fülle? Erlebst du Fülle? Wo erlebst du Fülle? Vielleicht überrascht sie dich ja auch an völlig unerwarteten Orten und in unerwarteten Momenten.

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Gehalten werden

Am Ende der Sackgasse, in der ich wohne gibt es eine kleine Allee von Kastanien. Jetzt im Frühjahr wird der Wald wieder grün und ganz dicht und die Allee bildet durch die sich oben schließenden Kronen ein Dach. Sie umhüllt mich und ich fühle mich ganz in ihr geborgen. Ich spaziere oft dorthin und genieße das Gehaltenwerden. Ich fühle mich warm geborgen wie in den Armen eines geliebten Menschen.

Gibt es einen Ort für dich, an dem du dich gehalten und geborgen fühlst?

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