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Termin

Ich habe morgens um 7.30 Uhr einen Physiotherapie-Termin. Ich habe mir den Wecker gestellt und bin rechtzeitig losgefahren, um auch bestimmt einen Parkplatz in der Nähe der Praxis zu finden. Ich komme pünktlich dort an. Es ist noch nichts los. Ich bin anscheinend die erste Patientin. Der Empfang ist noch nicht besetzt. Ich setze mich und warte. Im Nebenraum höre ich den Physiotherapeuten und eine Frau plaudern. Ich warte. Drei Minuten vergehen. Fünf Minuten vergehen. Ich höre die Stimmen im Nebenraum lachen. Es kommt niemand, um zu schauen, ob ich oder eine andere Patient*in schon da ist. Acht Minuten vergehen. Ich überlege, wie ich mit der Situation umgehen soll. Einfach noch länger warten? Ich bin ja nicht in Zeitnot, und trotzdem fuchst es mich. Die Stimmen und Lacher gehen unbeirrt weiter. Ich entscheide mich, an die Tür zu klopfen und wende mich an den Physiotherapeuten: “Ich habe um 7.30 Uhr einen Termin bei Ihnen.“ – “Ja, ich weiß”, kommt als Antwort, „ich komme gleich.“ Um 7.45 Uhr begleitet mich die Sprechstundenhilfe mit einem hochroten Kopf in den Behandlungsraum. Als der Physiotherapeut den Raum betritt, hakt er nach: “Was ist los?” – “Ich habe mich so beeilt, um pünktlich zu sein.” – “Wenn ein Mitarbeiter erkrankt ist, müssen wir eben besprechen, wie wir die Termine umlegen”, sagt er ganz selbstbewusst. Ich hätte mir irgendetwas Entgegenkommendes in seiner Haltung gewünscht. Und Ehrlichkeit.

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Sommerferien

Ich bin bisher in den Sommerferien immer weggefahren. 14 Tage, drei Wochen. Ich wollte immer raus, irgendwo anders hin, was anderes sehen, etwas anderes erleben, andere Menschen treffen, andere Gespräche führen. Einfach raus und weg, ein Tapetenwechsel eben. Ich war in allen Ferien immer weg. Und es mangelte mir auch nie an Ideen, wohin ich fahren könnte. Und jetzt? Schon Anfang des Jahres merke ich, dass mich nichts wegzieht. Was ist das? Was ist bloß los? Das kenne ich so gar nicht von mir. Meine Lust wegzufahren kommt auch nicht, als das Jahr voranschreitet. Die Sommerferien stehen vor der Tür und die Idee, einmal die ganze Zeit zu Hause zu bleiben, finde ich zunehmend verlockend. Wie das wohl ist, sechs Wochen zu Hause? Ohne Tapetenwechsel, ohne all das, was mich sonst so reizt am Wegfahren?

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Musikfestival

Eine Kollegin erzählt mir, dass sie sich auf die Sommerferien freue, weil sie dann wieder Zeit habe, auf Musikfestivals zu gehen. Zu Studienzeiten sei sie oft zu Festivals gefahren, in ganz Deutschland. Aber jetzt, da sie arbeite, seien die Wochenenden zu kurz und die Festivals fingen oft auch schon donnerstags an. Das würde sich nicht lohnen. Ein Musikfestival? Das wäre für mich ein Horror. Meine Assoziationen dazu sind laute Musik bis in die tiefe Nacht – Betrunkene, die herumtorkeln und grölen – Schlangen vor den Toiletten. Für nichts in der Welt würde ich freiwillig zu einem Musikfestival gehen. Ich behalte diese Gedanken für mich und frage die Kollegin, was sie an Musikfestivals reizt. Interessiert höre ich zu und lasse mich auf ihre Sicht ein.

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Reich

Die Johannisbeeren in meinem Garten sind reif. Die Sträucher sind mit prallen roten, weißen und schwarzen Risben behangen. Ich pflücke und nasche und fülle ein Eimerchen nach dem anderen. Zu Hause wasche ich sie und verarbeite sie zu Gelee. Glas um Glas fülle ich mit dem tiefroten süßen Saft der roten Johannisbeeren. Auf dem Tisch reihen sich acht Gläser. Als nächstes koche ich Gelee aus roten und schwarzen Johannisbeeren. Auch hier werden es acht Gläser mit dem tiefvioletten Gelee. Das Gelee aus weißen und roten Beeren wird zartrosa. Und ich koche noch Gelee nur aus schwarzen Johannisbeeren. Vor mir breitet sich eine wunderbare Farbpalette der verschiedenen Gelees aus. Ich genieße es und freue mich auf den süßen Brotaufstrich. Ich fühle mich unendlich reich.

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Das Eiscafé

Wie oft bin ich schon an diesem Eiscafé vorbeigefahren? Mal saßen viele, mal wenige Menschen auf der Terrasse. Mal sah ich ein Schild stehen: Heute Pizzatag. Irgendwann einmal hatte ich mir dort auch ein Eis gekauft, aber ich war nie auf die Idee gekommen, dort einen Cappuccino zu trinken. Dann ergab es sich, dass ich mit einer Freundin und ihrem Sohn unterwegs war. Wir fuhren an diesem Eiscafé vorbei und er wollte unbedingt ein Eis. Also parkten wir und setzten uns dort auf die Terrasse. Während er sein Eis aß, tranken wir einen Cappuccino. Was für eine Entdeckung! Wie gut der Cappuccino schmeckte! Er kam nicht aus einem Kaffeevollautomaten wie so oft, sondern aus einer richtigen Kaffeemaschine, die die Bedienung manuell bedienen musste. Ein paar Tage später genoss ich einen weiteren Cappuccino dort und freute mich darüber, dieses Café entdeckt zu haben. Und was, fragte ich mich, übersah ich vielleicht noch so alles auf meinem Weg?

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Bus fahren

Ich kann wegen des Drehschwindels nicht Auto fahren. Also fahre ich mit dem Bus zum Garten. Ich bin sonst immer mit dem Auto gefahren, gezielt von A nach B. Ich stieg ins Auto, fuhr zum Ziel, parkte, und ging den restlichen Weg zu Fuß, ohne mit weiteren Menschen in Kontakt zu kommen. Nun warte ich an der Bushaltestelle. Manchmal kommt der Bus pünktlich, manchmal verspätet und auch mal gar nicht. Beim Einsteigen tauche ich in eine ganz andere Welt ein: Ich teile die Fahrt mit Müttern, die sich lebhaft unterhalten, während sich ihre kleinen Kinder über Sitze hinweg kletternd verfolgen. Ich teile die Fahrt mit männlichen Jugendlichen, die sich so laut von ihren unterschiedlichen Musikvorlieben überzeugen wollen, dass alle im Bus es unweigerlich mitbekommen. Ich teile die Fahrt mit Menschen, bei denen mir der Atem stockt, als sie an mir vorbeigehen. Sie sind in eine Mischung aus abgestandenem Zigarettenrauch und Schweiß gehüllt. Ich teile die Fahrt mit einer Frau, die lauthals eine andere Mitfahrerin auf übelste Weise beschimpft. Ich teile die Fahrt mit Menschen, die völlig in ihrem Smartphone versunken sind. Und ich teile die Fahrt mit Menschen aus vielen unterschiedlichen Ländern. Nur zweimal ergibt es sich, dass ich ein paar Worte mit einer Sitznachbarin, die gerade von einem Krankenbesuch im Krankenhaus kommt, wechsele. Und ein anderes Mal plaudere ich kurz mit einem Ukrainer. Bald werde ich wieder ganz alleine in meinem Auto fahren.

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Nichts tun

Ich sitze draußen in der Sonne und tue nichts. Scheinbar nichts. Ich gehe nicht spazieren, ich bin nicht mit dem Rad unterwegs und führe auch keinen Hund aus. Ich sitze einfach nur da. Ich lese nicht und höre auch keine Musik und doch bin ich sehr aktiv. Ich sitze da und genieße die Sonne auf meiner Haut. Ich tanke ihre Wärme buchstäblich auf. Ich beobachte, wie sich die Schatten mit dem Lauf der Sonne verändern. Ich lausche den Vögeln und dem Rauschen des Windes in den Bäumen. Und ich beobachte den Fluss meiner Gedanken. Ich beobachte, wie ich über ein Thema nachdenke und dann springen die Gedanken zu einem anderen Thema. Ich entscheide sie ruhen zu lassen und wieder den Vögeln zu lauschen. Später stelle ich bewusst Überlegungen an zu einem Thema, das mich derzeit beschäftigt. Ich bemerke, wie ein neuer Gedanke auftaucht. Auch den beobachte ich, wie er sich entwickelt und wie er andere verdrängt. Ich tue nichts von außen Sichtbares und bin doch sehr beschäftigt.

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Telefongespräch II

Ich erzähle ihr, die mich mein Leben lang kennt, dass ich in der letzten Woche im Krankenhaus war. Mir sei im Unterricht heiß und kalt geworden, ich habe mich nicht mehr konzentrieren können und beim Aufstehen sei mir schwindlig geworden. “Das ist der Kreislauf”, unterbricht sie mich. Unbeirrt erzähle ich weiter. Ich sei dann mit dem Notarztwagen ins Krankenhaus gebracht worden. Nach vier Krebsfällen in der Familie sei meine Angst gewesen, dass es jetzt mich träfe! “Ach, so ein Quatsch. So was darfst du gar nicht denken.” Als ich erzähle, dass ich eine Entzündung des Gleichgewichtsorgans im linken Ohr habe, kommt von ihr: “Das hatte meine Mutter auch mal. Da ist sie ins Reformhaus gegangen. Dort haben sie ihr ein Mittel empfohlen und dann war es weg. Da musst du nur in ein Reformhaus gehen. Die wissen, was da hilft, die haben richtig Ahnung.” Als ich später erwähne, dass mein Auto noch an der Schule stehe, sagt sie: “Da fragst du einfach zwei Kollegen, ob die dir das Auto nicht bringen können.” Nach dem Telefonat überlege ich enttäuscht: Vielleicht rede ich mit ihr das nächste Mal doch besser nur über das Wetter.

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Gehen lernen

Wann habe ich zuletzt oder überhaupt einmal über das Gehen nachgedacht? Seit ich als Kleinkind das Laufen gelernt habe, ist es eine Selbstverständlichkeit, über die ich keinen Gedanken verliere. Und dann, von einem Moment zum anderen, kann ich nicht mehr alleine stehen. Mein Körper funktioniert nicht mehr so, wie ich es kenne. Alles um mich herum dreht sich. Nichts steht gerade und bleibt an seiner Stelle. Ich fühle mich wie in einer Wäschetrommel im Schleudergang. Ich kann nicht mehr ohne gestützt zu werden auf die Toilette gehen. Ich ertrage die Welt um mich herum nur noch mit geschlossen Augen. Sobald ich die Augen öffne, dreht sich wieder alles wie auf einem Karussell.
Am nächsten Tag schaffe ich es zumindest schon, mich an den Wänden entlanghangelnd zur Toilette voranzutasten. Ich kann immer noch nicht frei stehen. Ich übe das Gehen am Wandgeländer im Krankenhausflur. Das Geländer führt nicht um die Ecke herum. Es gibt eine Lücke von vielleicht einem Meter. Diesen Meter schaffe ich nicht im freien Gang. Der Meter ist unüberwindbar. Das bedeutet das Ende meiner Bewegungsfreiheit. Drei Meter vor und zurück an dieser einen Wand. Ich kann auch nicht von der einen Wandseite des Flures auf die andere Wandseite gehen, so einfach durch den freien Raum. Ich stehe da und schaue mir diese zwei Meter von Wand zu Wand an und kann sie nicht überwinden.
Am dritten Tag schaffe ich es mit Hilfe der Physiotherapeutin, frei durch den Flur zu gehen. Ich kann durch den freien Raum gehen. Ich schwanke dabei wie eine Volltrunkene auf hoher See. Unsicher betrachte ich Menschen, die mir begegnen und Wagen die im Gang stehen. Wie komme ich nur um sie herum? Am nächsten Tag soll ich entlassen werden. Wie soll ich SO meinen Alltag alleine bewältigen?

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Im Krankenhaus

Ich war Jahrzehnte nicht im Krankenhaus und brauchte es Gott sei Dank auch nicht. Und dann drei Nächte stationär. In der Notaufnahme ist eine sehr empathische Krankenschwester, die mir mein Gesicht feucht abwischt, um mir Erleichterung zu bringen und die drei Einstiche braucht, um mir genug Blut entnehmen zu können. Beim letzten Einstich verfehlt sie die Vene und die Infusion läuft ins Gewebe. Ich bekomme einen ganz dicken Arm, den ich nicht mehr beugen kann. Beim Ziehen der Nadel später verbindet sie den Einstich so, dass noch Blut und Flüssigkeit auslaufen in die Kleidung und auf die Unterlage. Als ich eine andere Krankenschwester später um etwas bitte, antwortet diese: “Wir haben hier ständig Neuzugänge und kein Personal. Da müssen Sie schon warten, bis wir Zeit haben.”
Auf der Station höre ich irgendwann eine Lautsprecherdurchsage: “Frau Wanjura bitte zum Empfang.” Als ich an der Rezeption meiner Station ankomme, bittet mich die Frau um mein Versicherungskärtchen. Das liegt zu Hause. Dann solle ich nach der Entlassung bitte nochmal kommen und es vorbeibringen. Kein Problem, mache ich. Als ich kurz vor meiner Entlassung bei derselben Person nochmal nachfrage,  ob ich die Versicherungskarte auch am Empfang unten im Erdgeschoss vorzeigen könne oder nur hier auf der Station, schaut sie mich erstaunt an. “Alles in Ordnung. Alles erledigt. Ich brauche nichts mehr. Ich weiß nicht, wer Ihnen das gesagt hat. Ich war das nicht.”
Auf dem Frühstückstablett steht meine Tasse Tee. Er ist tiefschwarz, bitter und nicht mal mehr lauwarm. Beim Abräumen frage ich die Krankenschwester, ob ich irgendwo einen heißen Tee bekommen könne. Sie könne mir einen bringen, sagt sie. Und tut es. Irgendwann höre ich bei meinem Gang über die Flure den Satz: „Die mit ihrem heißen Tee!“ Ich weiß nicht, ob sich das auf mich bezieht.
Behandelt hat mich eine junge, sehr empathische Ärztin. Sie fragte nach und erklärte ganz geduldig alles, was ich wissen wollte. Auch das gehört zu den Eindrücken, die ich aus dem Krankenhaus mitgenommen habe.

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