Ich gebe ein zweitägiges Seminar für zehn Teilnehmer*innen. Am Ende sollen sie anonym einen Auswertungsbogen für den Veranstalter ausfüllen. Nach Beendigung des Seminars, als alle gegangen sind, schaue ich mir die Bögen durch. Die erste Auswertung ist sehr positiv. Die Person hat bei allen Punkten, die zu Inhalt, Struktur und Präsentation aufgeführt werden, die maximale Punktzahl gegeben und würde das Seminar weiterempfehlen. Auch auf den nächsten Bögen wird das Seminar mit ‚gut‘ oder ’sehr gut‘ bewertet und das Kästchen ‚Ich würde das Seminar weiterempfehlen‘ ist angekreuzt. Dann kommt ein Bogen, auf dem es zwar auch positiv bewertet wird, aber am Ende angekreuzt ist: ‚Ich würde das Seminar nur bedingt weiterempfehlen.‘ Ich stutze und bin überrascht. Sofort geht mein Kopfkino los: Was hat die Person denn schlecht gefunden? Was hat ihr bloß nicht gefallen? Und kann es wirklich sein, dass alle Teilnehmer*innen das Seminar weiterempfehlen würden und nur eine einzige Person nicht? Und dann stoppe ich mich. Nein, ich gebe meinem Kopfkino keinen Raum. Worauf will ich Gewicht legen? Auf das Positive oder auf das Negative? Es liegt ganz bei mir zu entscheiden, ob ich auf die neun Empfehlungen schaue oder auf die eine nur bedingte.
Wohin geht deine Aufmerksamkeit, wenn du etwas Kritisches über deine Arbeit hörst?