Selbstdisziplin

Zu meinem Geburtstag schickt sie mir ein Bild der Mutter als junge Frau, eins der Mutter mit ihrer Mutter und eins der Mutter mit einer Freundin zusammen. In der Betreffzeile schreibt sie: „Statt Blumen.“ Sonst nichts weiter. Ich weiß nicht so recht, was sie mir damit sagen oder wünschen will. Genauso schreibe ich ihr das dann auch und erzähle etwas von meinem Alltag. Wie beschwerlich die letzten Tage in der Schule bei der großen Hitze waren. Dass ich noch zwei Jahre durchhalten muss, bis ich in Rente gehen kann und ich mir Sorgen mache, weil ich wegen der Jahre im Ausland und meiner Halbtagstätigkeit wenig Rente bekommen werde.
In ihrer Antwort bezichtigt sie mich der Übellaunigkeit, sie als Mülleimer zu missbrauchen und rät mir Selbstdisziplin an, um mich selber und andere nicht runterzuziehen. Sie verschone mich auch mit ihren Problemen.
Ich bin fassungslos. Wo bitte bin ich denn übellaunig? Ich erzähle doch nur von meinem Alltag. Aber die Übellaunigkeit ist etwas, dass sie mir schon häufiger vorgeworfen hat. Wie gerne würde ich zurückblaffen: ‚Und wie war es mit deiner Selbstdisziplin, als du mir erzählt hast, wie unglücklich du dort bist, wo du wohnst und dass du dort keine Kontakte findest? Das habe ich jahrelang von dir gehört.‘ Die Gefühle und Gedanken wirbeln in mir herum. Ich atme tief durch und ich lasse Zeit vergehen. So gerne ich auf ihre Vorwürfe eingehen möchte, antworte ich ihr schließlich: „Ich bedaure, dass ich nicht die Schwester bin und sein kann, die du dir wünschst.“ Und später schreibe ich ihr nochmal: „Ich bedaure, dass wir es so schwer miteinander haben. Ich verstehe nicht, was du mir mit den Bildern sagen willst und du verstehst nicht, was ich mit meinem Mail sagen will. Das finde ich sehr schade.“

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