Ich breche an einem Dienstagvormittag mitten im Unterricht zusammen. Mir wird kalt und heiß gleichzeitig, ich kann mich nicht mehr konzentrieren und beim Aufstehen bemerke ich einen Schwindel. Ich schicke meine Schülerinnen zurück in ihre Klasse und einen Schüler bitte ich, ins Sekretariat zu gehen und Hilfe zu holen. Hilfe kommt. Die erste Vermutung ist eine Kreislaufschwäche. Hinlegen, Beine hoch. Hilft nicht. Übelkeit setzt ein. Ich erbreche mich. Alles um mich herum dreht sich. Ich kann nichts mehr anschauen. Die helfenden Kolleginnen überlegen, mich nach Hause zu bringen. Dann vielleicht doch eher direkt zu meiner Hausärztin. Der Schwindel lässt nicht nach und die Übelkeit auch nicht. Ich erbreche mich wiederholt. Nichts geht mehr. Keine Überlegung, kein Mitdenken oder Entscheiden. Nach anderthalb Stunden, die mir vorkommen wie fünf Minuten, schaut die Schulleitung nach mir. Man entscheidet den Notarzt zu rufen. Ein Sanitäter überprüft mich sofort auf Schlaganfall. Eher unwahrscheinlich. Zwei Männer führen mich zum Wagen und müssen mich jeweils einer von rechts und einer von links stützen. Ich kann nur mit geschlossen Augen gehen. Ich kann mich nicht selbst halten. Ich kann nicht alleine stehen. In der Notaufnahme im nächstgelegenen Krankenhaus folgen Blutabnahme, Blutdruckkontrolle, CT und langes, langes Warten und wieder Erbrechen. Eine Ärztin kommt und stellt Fragen. Nach den ersten Befunden stellt sie Vermutungen an. Nach vier Krebsfällen in der Familie – bin ich jetzt dran? Ich werde stationär aufgenommen. Zu jedem Toilettengang muss ich begleitet werden. Ich kann die Augen nur geschlossen halten. Alles um mich herum dreht sich. Der Brechreiz hört auf und meine Ängste steigen. Am nächsten Tag folgen weitere Tests. Was werden die Untersuchungen ergeben? Einen Gehirntumor? Im Warteraum vor der nächsten Untersuchung laufen mir die Tränen. Ich konzentriere mich auf meine Atmung: tiefes und regelmäßiges Ein- und Ausatmen. Den Gedankenfluss stoppen. Atmen. Den Horrorvisionen keinen Raum geben. Atmen. Das Bild an der Wand betrachten. Atmen. Auf die sonnenbeschienenen Bäume draußen schauen. Atmen. Die Kühle, die durch das gekippte Fenster kommt, spüren. Atmen. Erst am späten Vormittag kommt die Entwarnung: Keine Befunde. Nichts Bedrohliches. Es wird eine Entzündung des Gleichgewichtsorgans im linken Ohr vermutet. Das ist sehr, sehr unangenehm, jedoch behandelbar und geht auch wieder völlig weg.