2003 heiratete mein Bruder zum zweiten Mal. Es zog zu seiner Frau nach Stuttgart und der Kontakt zwischen uns schlief ein. 2005 verstarb meine nächstjüngere Schwester. Wir begegneten uns bei ihrer Beerdigung und der anschließenden Wohnungsauflösung. Dann schlief der Kontakt wieder ein. 2015 besuchte ich ein Seminar in Stuttgart. Ich kontaktierte ihn und wir trafen uns. Das Treffen war recht unterkühlt und der Kontakt schlief abermals ein. Ich wusste kaum etwas aus seinem jetzigen Leben mit seiner neuen Frau. 2021 rief er mich im Sommer ganz unvermittelt an mit der Frage, ob ich bereit wäre, Stammzellen zu spenden. Er war zum wiederholten Male an Leukämie erkrankt. Als Familienangehörige kam ich als Spenderin in Frage. Fast 20 Jahre Pause und dann das. Ich wusste nicht, dass er 2019 das erste Mal an Leukämie erkrankt war. Ich zögerte erst, verdaute die Nachricht. Dann willigte ich ein, mich testen zu lassen. Die Untersuchung ergab, dass ich als Spenderin nicht kompatibel war. Die Krankheit bedeutete den Beginn einer neuen Beziehung zwischen meinem Bruder und mir. Ich besuchte ihn einmal und wir telefonierten gelegentlich. Anderthalb Jahre nach unserer Kontaktaufnahme verstarb er. Es kamen vielleicht ein Dutzend Menschen zu seiner Beerdigung. Alles Menschen, die ich nicht kannte. Auch wenn ich keinen Anteil an seinem Leben gehabt hatte, so tat es mir doch gut, in kurzen Gesprächen beim anschließenden Trauerkaffee herauszuhören, wie sehr er von den anwesenden Menschen geschätzt und gemocht wurde und vermisst werden würde.