Wann habe ich zuletzt oder überhaupt einmal über das Gehen nachgedacht? Seit ich als Kleinkind das Laufen gelernt habe, ist es eine Selbstverständlichkeit, über die ich keinen Gedanken verliere. Und dann, von einem Moment zum anderen, kann ich nicht mehr alleine stehen. Mein Körper funktioniert nicht mehr so, wie ich es kenne. Alles um mich herum dreht sich. Nichts steht gerade und bleibt an seiner Stelle. Ich fühle mich wie in einer Wäschetrommel im Schleudergang. Ich kann nicht mehr ohne gestützt zu werden auf die Toilette gehen. Ich ertrage die Welt um mich herum nur noch mit geschlossen Augen. Sobald ich die Augen öffne, dreht sich wieder alles wie auf einem Karussell.
Am nächsten Tag schaffe ich es zumindest schon, mich an den Wänden entlanghangelnd zur Toilette voranzutasten. Ich kann immer noch nicht frei stehen. Ich übe das Gehen am Wandgeländer im Krankenhausflur. Das Geländer führt nicht um die Ecke herum. Es gibt eine Lücke von vielleicht einem Meter. Diesen Meter schaffe ich nicht im freien Gang. Der Meter ist unüberwindbar. Das bedeutet das Ende meiner Bewegungsfreiheit. Drei Meter vor und zurück an dieser einen Wand. Ich kann auch nicht von der einen Wandseite des Flures auf die andere Wandseite gehen, so einfach durch den freien Raum. Ich stehe da und schaue mir diese zwei Meter von Wand zu Wand an und kann sie nicht überwinden.
Am dritten Tag schaffe ich es mit Hilfe der Physiotherapeutin, frei durch den Flur zu gehen. Ich kann durch den freien Raum gehen. Ich schwanke dabei wie eine Volltrunkene auf hoher See. Unsicher betrachte ich Menschen, die mir begegnen und Wagen die im Gang stehen. Wie komme ich nur um sie herum? Am nächsten Tag soll ich entlassen werden. Wie soll ich SO meinen Alltag alleine bewältigen?