Christine Wanjura

Türkei 1

Erste Begegnung
Ich lande mitten in der Nacht in einem mir fremden Land. In den Unterlagen, die ich bekommen habe, steht genau, wo ich den Transferbus zum Hotel finde. Ein freundlicher junger Mann nimmt mich in Empfang. Er spricht kein Deutsch. Er nimmt das Übersetzungsprogramm auf seinem Handy zu Hilfe. Während wir auf weitere Gäste warten, tauschen wir uns angeregt aus. Wir lachen über die Missverständnisse, die trotz des Programms entstehen. Als wir nach einer Stunde Fahrt durch schlafende Ortschaften am Hotel ankommen, bedankt er sich herzlich. Was für eine freundliche erste Begegnung.

Tag eins
Der erste Tag in diesem mir fremden Land nimmt mich mit Sonnenschein in Empfang, mit Ruinen aus der Römerzeit, mit einem mir fremden Blütenduft. Später erfahre ich, dass es die Orangenblüten sind, die so duften. Gelb strahlen die Früchte am Zitronenbaum vor meinem Balkon mich an und es gibt viele freundliche Katzen. Ich sitze auf meinem Zimmerbalkon und lasse mich einlullen von dem Stimmengewirr der türkischen Zimmerfrauen, die sich über den Hof hinweg immer mal wieder etwas zurufen, von deutschen und englischen Wortfetzen der anderen Gäste, von der noch milden Märzsonne, die mich wärmt.

Renovierungsstau
In den Bewertungen im Internet stehen kritische Kommentare zum Zustand des Hotels. Das hat mich nicht abgeschreckt. Als ich dann vor Ort im Hotel bin, bestätigt sich diese Bewertung. Notdürftig sind Fugen in der Dusche abgedichtet, in den Ecken sind dunkle Flecken. Schimmel? Der Spiegel ist an einem Rand entlang blind und das Waschbecken ist nicht waagerecht montiert. Auf der Veranda, die zu den Zimmern führt, liegt eine abenteuerliche Konstruktion von Rohren und Leitungen. Und das alles stört mich nicht. Die Betten sind sauber bezogen, es gibt ein reichhaltiges und leckeres Frühstück und die Sonne scheint. Das ist alles, was ich brauche. Von allem anderen lasse ich mich nicht irritieren. Mehr zählt für mich nicht.

Tee
Auf dem Tresen stehen kleine Gläser für den Türkischen Tee und große Gläser für Wasser. Drei Kannen mit Teesud stehen bereit, der dann mit heißem Wasser aufgefüllt wird. Am ersten Tag gehe ich vier-, fünfmal Tee nachfüllen. Dann sehe ich jemanden eines der großen Gläser nehmen und Tee einfüllen. Das ist eine gute Idee, denke ich und mache das nach. In das Wasserglas geht vielleicht der Inhalt von drei bis vier kleinen Teegläsern, so spare ich mir das häufige Nachfüllen. An diesem Tag ist der Tee vor dem Ende der Frühstückszeit leer. Ich halte den Tee im Wasserglas für eine gute Idee, die Küche ärgert sich vielleicht, dass nicht die Teegläser verwendet wurden und der Tee vorzeitig leer ist.

Der Muezzin
Der Ruf des Muezzin hallt aus mehreren Lautsprechern durch die Nacht. Ich lausche dem Gesang und verstehe nicht mehr als ‚Allah‘. Der Ausdruck dieser religiösen Praxis ist mir, wenn auch nicht unbekannt, so doch fremd. Erahne ich vielleicht in seinem Gesang die Leidenschaft, sich mit etwas Höherem als uns selbst verbinden zu wollen? Ruft er in der Form, die er erlernt hat, in der kulturellen Ausprägung, in die er hineingewachsen ist, den einen Gott an, den er Allah nennt und den ich in meiner kulturellen Prägung, in die ich hineingeboren bin, ‚Gott‘ nenne? Und meinen wir vielleicht die eine selbe göttliche Kraft, die uns alle verbindet und größer ist als alles Menschliche?

Pauschalurlaub
Ich habe einen Pauschalurlaub gebucht mit Flug, Hotel und Halbpension. Als ich im Hotel ankomme, wird mir ein Safe für 10 Euro Miete pro Woche angeboten. WLAN kostet ebenfalls 10 Euro die Woche. Na gut, das wusste ich, dass WLAN nicht im Paket enthalten ist. Die Getränke zum Frühstück sind frei, Orangensaft kostet jedoch 3 Euro. Die Getränke zum Abendbrot sind nicht frei. Das Wasser aus dem Hahn solle man besser nicht trinken, wird mir geraten, ich solle lieber Wasser im Geschäft kaufen. Die Handtücher aus dem Zimmer sollen nicht am Strand oder am Pool benutzt werden, steht auf einer Information im Badezimmer. Strandhandtücher werden an der Rezeption für 3 Euro ausgeliehen.

Langeweile?
„Langweilen Sie sich denn nicht so alleine im Urlaub?“, werde ich gefragt. Mich langweilen? Nein. Endlich kann ich abschalten, muss auf nichts reagieren, keine Rede und Antwort stehen, keine Entscheidungen treffen, nicht überlegen, was noch alles anliegt, keine Mails beantworten. Und ich kann es sogar genießen, im Hotel kein WLAN zu haben. Endlich kann ich loslassen. Wieder ganz auf mich hören. Am Tag gibt es nur zwei Eckpunkte: Frühstück gibt es zwischen 8 und 10 Uhr und das Abendessen zwischen 18 und 20 Uhr. Den Rest der Zeit habe ich ganz für mich. Ich kann dem nachgehen, was in mir lebendig ist. Ich kann dem nachgehen, was mich ruft. Ich kann genau horchen und spüren, ob ich jetzt Ruhe brauche und sie mir einfach so nehmen. Ich habe lange Monate funktioniert. Jetzt kann ich meiner Seele wieder allen Raum geben, den sie braucht.

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Alt werden? Alt sein?

Wann habe ich angefangen über das Alter nachzudenken? Mit 50 war ich noch mitten drin im Leben, voller Energie. Gegen Ende der 50er merkte ich schon, dass meine Kräfte nachließen, besonders bei der Gartenarbeit, aber ich schrieb das noch nicht meinem Alter zu. Dann wurde ich 60. Ich hörte ein ums andere Mal: Das Alter ist doch nur eine Zahl. Oder: Man ist so alt wie man sich fühlt. Die Sechs vorne dran machte schon einen Unterschied. Mit 61 zog ich um und merkte jetzt ganz deutlich, dass meine körperlichen Kräfte abgenommen hatten und ich lange brauchte, um mich von der Anstrengung zu erholen. Eine Nachbarin, ein junges Mädchen, die meinen Einzug sah, sagte zu ihrer Begleiterin: „Da zieht eine Oma ein.“ Ich stutzte. Wurde ich etwa als Oma wahrgenommen? Leute schauten überrascht, wenn ich sagte, ich sei 61, hatten sie mich doch jünger eingeschätzt. Ich trage einfach weiterhin Jeans und eine Kurzhaarfrisur und färbe meine Haare nicht. Es ist nicht mein Anliegen, jünger zu wirken, ich versuche aber auch nicht, mich „meinem Alter entsprechend“ zu verhalten. Ich fühle mich offener und vielleicht noch interessierter als in jüngeren Jahren und obendrein gelassener und geduldiger. Wann würde ich mich alt fühlen? Was bedeutete das, „alt zu werden“ oder „alt zu sein“? Ich hatte mit Sicherheit die längste Zeit meines Lebens hinter mir. Und wie viel Zeit würde mir noch bleiben? Das fragte ich mich durchaus das ein oder andere Mal.

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Singen

Am Anfang sind es nur schwarze Punkte auf horizontalen Linien auf einem Blatt Papier, manche mit kurzen vertikalen Strichen daran, andere ohne solche Striche. Es ist einfach nur ein Blatt mit vielen schwarzen Punkten. Mehr nicht. Als der Chorleiter die Melodie auf dem Klavier anspielt, höre ich zum ersten Mal, was sich hinter den Punkten verbirgt. Da haucht er zum ersten Mal Leben in die schwarzen Punkte. Wir beginnen das Stück zu singen und es füllt sich mit Leben. Die Melodie mit dem Text zusammen öffnet etwas in mir, da ist ein innerer Raum und etwas in mir kommt ins Schwingen. Dort verlasse ich mein weltliches ICH und trete in eine andere Dimension ein, eine Dimension, in der es mir gelingt, für einen Moment mit etwas Größerem zu verschmelzen. Ich gehe ganz in der Melodie auf und kehre am Ende des Liedes gelöst und aufgetankt wieder zurück.

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Frühstück

Es gibt einen Pädagogischen Tag in der Schule. Eines der drei Themen an diesem Tag ist Ernährung. Wir werden gefragt, ob wir frühstücken und wenn ja was. Sofort beginnt ein hitziges Gespräch: „Also, ich gehe ohne Frühstück aus dem Haus.“ – „Nein, das geht ja gar nicht, ohne Frühstück läuft bei mir nichts“, widerspricht eine andere. „Oh nee, Süßes zum Frühstück. Ich brauche was Herzhaftes morgens“, kontert eine dritte. Eine weitere Person reagiert lautstark: „Nein, weder Süßes noch Herzhaftes. Ich brauche morgens mein selbstgemachtes Müsli aus geschrotetem Korn!“ Und ich denke: Ach, das ist ja interessant, so macht Petra das also und Annkatrin isst gern Herzhaftes morgens und Susanne macht ihr eigenes Müsli.
Etliche Tage später erzählt mir Franka von ihrem Chorauftritt, den sie am Abend haben würde. Seit einem Jahr probten sie für diesen Auftritt, sagt sie. Am Tag zuvor hätten sie vier Stunden Generalprobe mit Stellprobe gehabt. „Oh, nein!“, rutscht es mir heraus. „Das wäre ja nichts für mich. Das ist ja viel zu stressig.“ Also verfalle auch ich immer mal wieder in dieses Widerspruchsmuster? Wir lernen ein Leben lang dazu, auch ich.

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Urlaubsplanung

Ich erkläre in jedem meiner GFK-Einführungskurse, dass wenn ich mich über ein Thema aufrege, die Ursache nicht bei der Person liegt, die etwas gesagt oder getan hat, sondern bei mir.
Ich erzähle einer Freundin, dass ich Ostern wegfahren will. Sie fragt, ob ich mir nicht vorstellen könne, dass sie mitkommt. Ich überlege erst und stimme dann zu. Da sie gerade mehr Zeit hat, bitte ich sie, doch nach einem Pauschalangebot zu schauen für das Land und zu den Eckdaten, auf die wir uns jetzt geeinigt haben. Eine Woche später habe ich noch nichts von ihr gehört und hake bei ihr nach. Ja, sie habe sich einiges angeschaut und schon einiges gefunden, aber noch nichts gebucht. Ich warte eine weitere Woche ab, bis ich mich wieder melde. „Lass uns treffen und die Angebote zusammen anschauen“, sagt sie. Ja, gut. Wir machen einen Termin aus und finden recht schnell etwas, das uns beiden gefällt. Als sie weiterklickt und der Button ‚Angebot buchen‘ erscheint, wird sie zögerlich. Und was ist, wenn etwas dazwischen kommt? Sollte sie nicht eine Rücktrittsversicherung für uns abschließen? Sie fängt an, die Seiten nach Rücktrittsoptionen zu durchsuchen. Schließlich bucht sie gar nichts und möchte noch etwas Bedenkzeit. Ich verstehe nicht. Sie hatte so lange Zeit, sich mit dieser Reise auseinanderzusetzen und es sich zu überlegen, und dann im letzten Moment vor der Buchung zögert sie? Drei Tage später springt sie ab.
Ich habe mich sehr darüber geärgert. Sie hat etwas nicht getan und nicht gebucht, obwohl es ihre Idee war mitzukommen. Jetzt kommt es darauf an: Kann ich, wie ich es in meinen Seminaren unterrichte, die Ursache für meinen Ärger bei mir selbst sehen und der Schuldfalle entgehen?

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Erklärungen

Ich erzähle Georg, dass es bei mir ganz in der Nähe eine Fußgängerbrücke gibt, die erst unter der Autobahn hindurch und dann über die Saar führt. Wenn man aus der Unterführung herauskommt, läuft man durch eine Abgaswolke, bevor man die Saar überquert. Er beginnt mir zu erklären, warum sich die Abgase da stauen. Ich will doch nur davon erzählen. Nach dem Warum hatte ich nicht gefragt.
Peter erzählt mir, dass er sieben Wochen zuckerfrei leben will und wie schwer das sei, bei all den Gummibärchen und anderen Süßigkeiten, die neben der Kaffeemaschine lägen. Ich erzähle ihm, dass ich Toastbrot gekauft und auf der Inhaltsliste entdeckt hätte, dass da auch Zucker drin sei. Ja, sagt er und erklärt mir im Detail, warum im Toastbrot Zucker ist. Ich wollte eigentlich nur davon berichten, was ich entdeckt hatte. Nach dem Warum hatte ich nicht gefragt.
Jan erzählte ich, dass ich in einem Jazzkonzert war, mit Piano, Schlagzeug und Sitar und wie toll mir das gefallen hat. „Es war ein besonderes Hörerlebnis mit der Sitar“, sage ich. Und Jan beginnt aufzuzählen, welche besonderen Instrumente im Jazz schon mitgespielt hätten und dass das gar nicht so außergewöhnlich sei. Ich wollte nur von dem Konzert berichten. Mehr nicht.
Warum wollen diese Männer denn nur alles erklären, frage ich mich.

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Herz ist Trumpf

Spielerisch ziehen wir unsere Trümpfe: Sie sei jünger, sagt sie. Ja, das stimmt. Sie wohne mietfrei. Ja, ich wohne zur Miete aber ich kann gut kochen. Nein, kochen könne sie nicht. Ein Punkt für mich. Aber sie verdiene mehr Geld. Das stimmt. Da kann ich keinen Trumpf entgegensetzen. Sie besitze zwei Autos. Ich ziehe schmunzelnd meine Trümpfe: Ich besitze zwei Fahrräder. Eins ihrer Autos sei ein Porsche. Eins meiner Räder ist ein E-Bike, hake ich lachend ein. Warum nur, frage ich mich, schaut sie trotz allem, was sie hat, so unzufrieden aus.

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Stau

Ich fahre abends auf der Autobahn zurück in die Stadt. Als ich näherkomme, überlege ich kurz, eine Ausfahrt früher zu nehmen und durch die Stadt zu fahren. Ich beachte den Impuls nicht weiter und bleibe auf der Autobahn. Wenige Kilometer weiter stehe ich im Stau. Im Radio höre ich die Meldung, dass wegen des Fußballspiels die Abfahrt zum Stadion gesperrt sei und es deswegen zum Stau käme. Warum nur bin ich meiner Eingebung, früher abzufahren, nicht gefolgt? Ich nehme mir vor, Eingebungen künftig ernster zu nehmen.

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Das Paket

Sie kümmert sich um den Nachlass unseres verstorbenen Bruders. Sie schreibt mich an, ob ich Interesse an zwei Bildern hätte, von einer uns beiden bekannten Malerin. Ja, antworte ich, warum nicht. Die Wände meiner neuen Wohnung sind noch ganz leer. Einige Tage später kommt das Paket an. Es enthält neben den zwei Bildern noch drei Bücher und etliche weitere Fotos. Einen Tag später trifft noch eine Papprolle ein. Dazu schreibt sie mir: „Ich schicke dir hier noch weitere alte Kalender und andere Bilder.“ Eigentlich hatte ich nur zu den zwei Bildern ja gesagt.

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Westflügel

Eine Freundin will mich in meiner neuen Wohnung besuchen. Ich beschreibe ihr genau, wie sie mich findet: Der Eingang ist hinter dem Haus auf der rechten Seite im Westflügel. Mein Name steht an der Klingel. Um die vereinbarte Zeit klingelt es. Ich öffne die Tür, aber da steht niemand. Ich vermute, dass sie den Haupteingang genommen hat. Ich ziehe mir feste Schuhe an und gehe über den Hof zum Haupteingang. Und tatsächlich, da steht sie, etwas verwirrt. „Ich habe dir doch genau beschrieben, wie du zu meiner Wohnung kommst, um es dir leichter zu machen“, sage ich. „Ach, das habe ich gar nicht so genau gelesen“, sagt sie.

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