Christine Wanjura

Eis essen 

Ich kaufe mir ein Eis, setze mich auf eine Bank und genieße es in Ruhe. Eine junge Familie mit einem kleinen Mädchen hat sich auch eins gegönnt. Ich sehe, wie das Eis des Mädchens an ihrem Kinn und an der Waffel heruntertropft. Das Mädchen hebt ihr Kleidchen hoch und wischt sich damit den Mund ab. Dann höre ich die Mutter sagen: “Wisch dir den Mund doch nicht damit ab!” Das kleine Mädchen erstarrt und schaut hilflos drein. Und auch ich frage mich: Was soll sie denn jetzt tun, wenn sie nichts anderes hat?

Kennst du solche Sätze aus deiner Kindheit, wo dir nur gesagt wurde, was du nicht tun sollst, ohne einen Hinweis darauf, was du stattdessen tun sollst?

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Der Spaziergänger

Auf meiner abendlichen Runde durch den Wald begegne ich öfter einem Spaziergänger. Wir bleiben immer wieder mal stehen und plaudern. Mal ging es um Corona: “So viele Menschen sterben an Corona, das ist wirklich schlimm!” Dann ging es um die Impfung: “Ich lass mich lieber nicht impfen, ich höre von so vielen Menschen, die schreckliche Nebenwirkungen haben. “Später ging es um die wirtschaftlichen Auswirkungen: “So viele haben ihren Job verloren und noch mehr werden ihre Arbeit verlieren. “Bei unserer letzten Begegnung ging es um den Anstieg der Preise und den Krieg in der Ukraine. “Die Preise für Speiseöl sind so angestiegen, das ist so schlimm, und die Benzinpreise erst! Jetzt flüchten so viele. Wie soll das nur weitergehen?” Irgendwann wird mir bewusst, dass er einen sehr negativen Blick auf die Welt hat und dass er immer vom Schlimmstmöglichen ausgeht. Bei unserer letzten Begegnung bemerke ich, wie meine Stimmung während des Gesprächs sinkt. Ich habe gar keine Lust auf diese pessimistische Weltsicht. Ich überlege mir, wie ich das Gespräch das nächste Mal in eine andere Richtung lenken kann.

Worüber sprichst du bei unverbindlichen Begegnungen?

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Schlangestehen bei Edeka

Ich stehe bei Edeka in der Schlange vor der Kasse. Wegen Corona halte ich Abstand zur Vorderfrau. Ein älterer Herr mit Einkaufswagen stellt sich links vor mir neben die Schlange. Als die Vorderfrau vorrückt, quetscht sich er sich vor mir rein, weder sich entschuldigend noch mich fragend, und legt seine Waren aufs Band. Ärger steigt in mir auf. ‘Der drängelt sich einfach vor! Der glaubt, der kann das einfach so machen.’ Und es liegt mir auf der Zunge zu sagen: Sie haben sicher nicht gesehen, dass das Schlangenende hinter mir war? Dann überlege ich, dass ich ja auch etwas hätte sagen können, noch bevor er sich in die Lücke drängt. Warum habe ich nicht früher reagiert? Es war ja klar, dass er vorhatte, sich vor mir einzureihen. Ich nehme mir vor, das nächste Mal in so einer Situation schneller zu reagieren.

Kennst du Situationen, in denen du zu lange wartest, bist du reagierst?  Wie geht es dir hinterher damit?

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Ein ganz besonderer Ort

“Es ist so schön dort”, sagt Betty, “die haben einen ganz besonderen Ort geschaffen, so friedvoll. Er ist mitten in der Natur, man hört nur die Vögel, und den Bach rauschen. Es sind ganz besondere Menschen, die dort leben und das Essen ist auch super lecker.” Als ich dort ankomme, bin ich neugierig auf diesen besonderen Ort. Beim Betreten des Gemeinschaftsraumes sehe ich Jacken über etlichen Stühlen hängen, die auch an den Folgetagen noch da hängen. Im Gelände fällt mein Blick auf Rohre, die herumliegen, und auf dem kleinen Teich schwimmt ein verblichenes Kinderspielzeug. Das Geländer einer Holztreppe ist abgebrochen, Stühle liegen im Gras und Werkzeuge liegen und stehen an einem nicht fertiggestellten Bauprojekt herum. Ich bedauere die Achtlosigkeit, die ich zu sehen glaube.

Worauf richtet sich dein Blick, wenn du an einen neuen Ort kommst?

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Die Lebensweisheiten meiner Mutter

Ich verbringe einige Tage in einer einfachen Hütte mit nur fließend kaltem Wasser. Als ich mir morgens die Zähne putze, fallen mir einige Lebensweisheiten meiner Mutter ein, die sie mir beharrlich zu vermitteln suchte: “Putz dir nie die Zähne mit kaltem Wasser, das schadet den Zähnen.” Und: “Trink nie zu heiße Getränke, das schadet auch den Zähnen.” Ein weiterer, an den ich mich erinnere, lautete:” Zieh dir ein Unterhemd an, sonst wird du krank.” Ganz besonders nützlich war auch: “Lass nie einen Lutscher im Mund, wenn du daran gelutscht hast. Wenn du ihn im Mund lässt und hinfällst, kannst du dir sehr weh tun.” Dies waren die wichtigsten Lebensweisheiten meiner Mutter.

Erinnerst du dich an erzieherische Botschaften, die deine Mutter dir vermittelt hat?

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Verloren

Seit Januar summieren sich die Ereignisse in meinem Leben. Im Januar erhalte ich die mündlich angekündigte Kündigung nun schriftlich. Daraufhin muss ich mich beim Arbeitsamt arbeitssuchend melden, online. Mein Noch-Arbeitgeber bietet uns drei Online-Bewerbungstrainings an. Die Bewerbung an das Ministerium, das uns möglicherweise übernimmt, will geschrieben und online gestellt werden. Dazu kommt das Ausfüllen zahlreicher Onlineformulare auf der Seite des Ministeriums. Es ist bis dato offen, ob wir übernommen werden. Seit 19 Jahren unterrichte ich Deutsch als Zweitsprache ohne formale Ausbildung und muss nun für die Bewerbung an einer Online-Weiterbildung teilnehmen.
Durch den Krieg in der Ukraine werden jetzt geflüchtete Kinder bei uns an der Schule aufgenommen. An einem Tag ist es eins, am nächsten Tag sind es zwei, inzwischen sechs. Mal sehen, wie viele es nach den Osterferien sein werden. Sie haben alles zurücklassen müssen und haben nicht unbedingt Lust, Deutsch zu lernen!
Mein Pass ist seit einem Jahr (!) abgelaufen. Als ich einen neuen beantragen will, muss ich mich durch unzählige Seiten beim Bürgeramt klicken, erst für einen Termin, und dann für das, wofür ich den Termin brauche: um einen Pass zu beantragen.
Meine neue Website will noch bearbeitet werden, bevor sie online gehen kann. Und dann streikt noch mein Drucker. Im Netz recherchiere ich, wie ich das Problem beheben kann.
Zwei Mal ist meine Katze in der Zeit krank: Einmal hat sie Fieber und ich muss mit ihr zur Tierärztin und das andere Mal humpelt sie mit dem linken Pfötchen. Inzwischen ist wieder alles heile.
Ich habe bis Ostern durchgehalten und gut funktioniert und mich dabei verloren. Und jetzt geht nichts mehr. Ich gönne mir ein paar Tage in der Abgeschiedenheit. Nichts außer Natur um mich herum, um der Seele wieder Raum zu geben, sie atmen zu lassen. Nichts tun. Stunde um Stunde in der Sonne sitzen, nur dem Bach und den Vögeln lauschen.

Merkst du, wenn du an deine Grenzen kommst? Und nimmst du dir dann eine Auszeit?

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Lady in Pink

Ich gehe am Ostersonntag in die Messe in der Basilika. Die Messe wird vom Kirchenchor und einem Orchester begleitet. Sie spielen eine Messe von Telemann. Ein Paar kommt und setzt sich in die Bank vor mir. Sie trägt einen pinkfarbenen Mantel. Beide schauen sich interessiert in der Kirche um. ‘Die sind nicht von hier’, denke ich. Als der Priester die Messe beginnt, bekreuzigen sie sich nicht. ‘Die sind also auch keine Katholiken’, geht es mir weiter durch den Kopf. Als die Gemeinde aufsteht, schauen sie sich um und stehen auch auf. Sobald alle sich wieder setzen, setzen sie sich auch, immer leicht zeitversetzt. Die angezeigten Lieder blättert sie eifrig im Gotteslob nach und singt sie mit. ‘Die Lieder scheinen ihr zu gefallen.’ Das Vaterunser betet sie nicht mit. ‘Das wird bei den Evangelischen doch auch gebetet.’ Bei der Eucharestie bleiben beide sitzen und blockieren den Durchgang für andere, die nach vorne wollen. ‘Die könnten doch wenigstens aufstehen und Platz machen.’ Als der Chor singt und das Orchester spielt, wippt sie mit dem Bein leicht mit. Am Ende der Messe klatscht sie begeistert für die musikalische Begleitung. Ich freue mich, wie sie sich respektvoll einfügt, das mitmacht, was ihr zusagt und da schweigt und sich zurückhält, wo es ihr aus welchen Gründen auch immer widerstrebt. Über den Zeitraum der Messe habe ich für diese Frau Sympathie entwickelt und hätte sie am liebsten angesprochen.

Wie geht es dir mit unbekannten Besuchern in einer dir vertrauten Gruppe?

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Eine fremde Welt

Über Ebay-Kleinanzeigen kaufe ich einen Akkustaubsauger in einem mir völlig unbekannten Stadtteil. Auf der Rückfahrt beschließe ich das sonnige Wetter auszunutzen und eine Runde durch den dortigen Wald zu spazieren. Ich parke und laufe los. In der Ferne zwischen den Bäumen sehe ich eine Wasserfläche und laufe in diese Richtung. Ich komme zu einem Anglerteich. Neugierig erkunde ich die Umgebung. Es ist ein teils stillgelegtes Gewerbegebiet. Ein Autoschrottplatz, leerstehende Hallen, ein Betonmischwerk und mir sich nicht erschießende Gewerbe reihen sich entlang einer Stichstraße, die in den Wald führt. Dazwischen stehen zwei mehrstöckige Wohnhäuser. Kaputte Möbel liegen herum, Müll und Autoreifen, einige Fenster sind eingeschlagen und die Haustüren stehen offen. Drei Kinder spielen Fußball. Ich bin in einer mir völlig fremden Welt. Ich bin überrascht und erschüttert über diese so ganz andere Welt in meiner eigenen Stadt.

Wie oft nimmst du ungewohnte Realitäten um dich herum wahr? Wie geht es dir damit, wenn dir etwas völlig Fremdes begegnet?

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