Holleck-Weithmann

Redefluss

Eine Bekannte erzählt gerne und viel und sehr detailliert von ihrem Urlaub: „Ich bin nachts im Hotel angekommen. Morgens habe ich dann zum ersten Mal aus dem Fenster geschaut und ich konnte es kaum glauben. Das Fenster ging direkt raus auf den historischen Marktplatz aus dem 18. Jahrhundert. Noch so richtig gut erhalten mit Arkaden ringsherum. Ich fühlte mich wie in ein anderes Jahrhundert versetzt.“ –
„Ich höre deine Überraschung, so eine gut erhaltene Altstadt zu sehen“, gehe ich dazwischen. „Ja. Nach dem Frühstück habe ich mir dann mal alles genau angeschaut. Ach, und das Frühstück! So was hast du noch nicht gesehen. Frisches Brot gab es, keine Pappbrötchen, kein Nullachtfuffzehn-Käse oder abgepackte Marmelade in kleinen Döschen. Eine Platte mit Wurst und Käse von heimischen Bauern stand auf dem Tisch und selbstgemachte Marmelade.“ – „Du warst auch total überrascht, was es zum Frühstück gab und es hat wohl auch noch richtig gut geschmeckt?“ – „Ja, absolut.“ Sie stutzt und erzählt weiter. „Na gut, also ich bin dann durch die Altstadt spaziert. So was Schönes hab ich noch nie gesehen. Die historischen Häuser! Und die Haustüren! Die sind alle mit Schnitzereien verziert. Und jede anders. Auf eine war ein Löwe geschnitzt und du hast jedes Haar in der Mähne sehen können, so filigran war das gearbeitet.“ – „Ich höre deine Freude, die Stadt zu entdecken und die unerwarteten Kunstwerke an den Türen. Das hast du alles nicht erwartet.“ – „Ja, genau.“ Sie stutzt abermals und ihr Redefluss ebbt ab.

Kannst du heraushören, was eine Person wirklich bewegt, die vielleicht viel und lange erzählt? Wenn du das darunterliegende Gefühl oder Bedürfnis ansprichst, besteht die Chance, dass sich die Person gehört und angenommen fühlt und den Redefluss verkürzen oder sogar beenden kann.

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Bergseen

Ich habe mir eine Wanderung zu Bergseen in zweieinhalb Stunden Entfernung vorgenommen. Die Strecke ist anfangs noch ein Schotterweg und leicht begehbar. Dann windet sich der Weg den Berg hinauf und wird steinig und steil. Ich sehe, wie er sich über mir den Hang hochschlängelt. Ich gehe langsam und mit Bedacht. Nach anderthalb Stunden merke ich, wie meine Energie nachlässt. Ich mache eine Pause, um mich zu erholen und gehe dann noch ein Stück weiter. Als meine Knie zu zittern anfangen, weiß ich, dass ich die Bergseen nicht erreichen werde. Ich muss den Weg ja noch zurückgehen. Es ist mir wichtiger, wieder heil unten anzukommen, als das Ziel zu erreichen. Ich passe mich meiner körperlichen Verfassung an und kehre um. Und nein, ich bin mir nicht böse, die Seen nicht gesehen zu haben.

Achtest du auf deine körperliche Verfassung? Gibst du ihr nach, wenn du merkst, dass du nicht genug Kraft und/oder Energie für ein Vorhaben hast?

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Bergriesen

Ich wandere auf einem schmalen, steinigen Weg einen Berg hinauf. Nach etwa einer Stunde mache ich eine Pause und genieße das Panorama. Um mich herum Berge und unter mir das Tal. Der Blick ist atemberaubend. Wirklich atemberaubend: Keine Straße, kein Auto, kein Haus mehr, auch keine Zivilisationsgeräusche. Stille. Nur der Wind. Schneebedeckte Bergriesen und kahle Felsen. Stille. Und ich, ganz klein auf vielleicht 2000m Höhe, fühle mich ganz geborgen und geschützt.

Wo in der Natur fühlst du dich geborgen und geschützt?

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Zelten I

Ich mache Urlaub und zelte auf einem Campingplatz in den Bergen. Es regnet und es regnet lange an diesem Tag. Im Zelt ist es zwar trocken, aber die Feuchtigkeit kriecht überall hin. Alles wird klamm. Je länger der Regen andauert, umso kühler wird es auch. Ich beneide die, die mit einem Wohnmobil oder Wohnwagen unterwegs sind und einfach eine Tür hinter sich zumachen können und im Warmen und Trocknen sind. Ich sitze im Auto, lese und schaue in den Regen, der nicht aufhören will. Irgendwann sehe ich zwei Personen auf einem Motorrad, die anscheinend ihren Stellplatz suchen. „Die Armen“, denke ich, „die müssen ihr Zelt bei diesem Regen aufbauen! Was bin ich froh, dass mein Zelt schon steht. Ich kann mich später in meinen klammen und warmen Schlafsack kuscheln.“ Jetzt bin ich wieder ganz versöhnt mit meiner Situation.

Gibt es Situationen, in denen du dich mit anderen vergleichst? Wenn ja, vergleichst du dich öfter mit Menschen, denen es besser geht als dir? Oder mit Menschen, denen es schlechter geht?

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Fermentieren

Ich entdecke das Fermentieren beim Surfen auf YouTube. Sauerkraut und saure Gurken kenne ich, klar. Aber dass sich auch noch weiteres Gemüse fermentieren lässt, wusste ich nicht. Das ist doch eine tolle Idee, um die Überschüsse in meinem Garten zu verwerten, denke ich. Der Funke springt über. Begeistert schaue ich mir weitere Videos zu dem Thema an: Wie geht das Fermentieren? Was kann man alles fermentieren und was für unterschiedliche Rezepte gibt es? Gleich am nächsten Tag besorge ich mir Bügelgläser und fange an, das was ich gelernt habe, mit dem Gemüse aus meinem Garten umzusetzen. Sieben Gläser habe ich inzwischen angesetzt mit unterschiedlichen Gemüsesorten und nach unterschiedlichen Rezepten. Jetzt kann ich nur noch abwarten und bin so gespannt, wie es dann schmecken wird.

Wo und wann hast du zum letzten Mal etwas Neues entdeckt, das dich begeistert hat und hast es auch umgesetzt?

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Mein Geburtstag

Ich habe meinen Geburtstag immer gefeiert, weil man das so macht. Ich habe diese Konvention nie wirklich in Frage gestellt. Irgendwann fing ich dann an, den Tag in einem kleinen Kreis zu feiern und seit zwei Jahren lade ich niemanden mehr ein. Das hat nichts mit dem Alter zu tun, sondern damit, dass ich angefangen habe mich zu fragen, was ich denn an diesem Tag wirklich machen möchte. Das hatte ich mich bis dahin noch nie ernsthaft gefragt. Und seitdem stelle ich fest, dass ich gar keine Lust darauf habe, meinen Geburtstag zu feiern, nur weil es eine Konvention ist. Vielmehr möchte ich mich an diesem Tag fragen: Worauf hast du heute wirklich Lust? Wie lange hat es gedauert, das zu erkennen und mich damit ernst zu nehmen, dazu zu stehen und es auch umzusetzen!

Wo folge ich Konventionen, die zu hinterfragen ich noch nicht auf die Idee gekommen bin?
Wo folgst du Konventionen, die du noch nie hinterfragt hast?

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Hörst du den Regen?

Ich wache auf. Es ist Sonntagmorgen. Ich nehme ein Geräusch wahr und überlege, was es sein könnte: Die Waschmaschine in der Wohnung über mir? Ein laufender Wasserhahn? Das Brummen des Kühlschranks? Das ist es alles nicht. Erst dann komme ich auf die Idee, dass es der Regen draußen sein könnte. Als ich aus dem Fenster schaue, sehe ich, dass tatsächlich ein feiner Regen fällt. Ja, es ist das zarte Rauschen des Regens auf dem Blätterdach der Bäume. Ich lege mich wieder hin und lausche noch eine Weile in den Regen hinein.

Nimmst du die leisen Töne wahr? Nimmst du dir Zeit, ihnen zu lauschen?

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Paris – Neu Delhi – Provinz

Ich fahre morgens im beschaulichen Saarbrücken los und komme 1h50 später in der Metropole Paris an. Die Stadt empfängt mich mit überfüllten Boulevards, drängelnden und hupenden Autos, sich durch den Verkehr schlängelnden Fahrradfahrern und Menschen aller Kulturen. So viele Reize auf einmal! Ich bin angespannt und brauche etwas Zeit, um mich zu orientieren. Willkommen in der Großstadt! Ich schlendere durch das Viertel und setzte mich in ein kleines indisches Café. Ich betrete eine andere Welt. Auf dem Menü stehen nur indische Gerichte und um mich herum höre ich nur Sprachen, die ich nicht verstehe. Solange ich meine Vadas esse und den süßen Chai trinke, bin ich in Neu Delhi und nehme die Gefühle wahr, die ich in meiner Zeit dort hatte: Die Neugier auf das Fremde und die Ermüdung, die es verursacht. Auch mittags, als ich in einem indischen Restaurant einen Thali bestelle, fühle ich mich nach Neu Delhi zurückversetzt. Am Nachmittag spaziere ich zum Kanal Saint Martin. Dort fährt gerade ein Lastschiff in eine Schleuse ein. Ich setze mich in ein Café und überlasse mich dem Schauspiel. Bei einem Café au lait beobachte ich, wie die Ampel an der kleinen Brücke, die über den Kanal führt, auf Rot springt. Der Verkehr kommt zum Stehen. Die Passanten warten geduldig, die Autofahrer stellen den Motor ab. Ich nehme keine Ungeduld oder Irritation bei den Wartenden wahr. Die Brücke schwingt langsam zur Seite, um dem Schiff Durchfahrt zu gewähren. Die Atmosphäre dort hat nichts von turbulenter Großstadt, vielmehr etwas von gemächlich friedvoller Provinz. In diesem Moment im Café fühle ich mich wie im Urlaub, entspannt, absorbiert vom Geschehen um mich herum und ganz im Hier und Jetzt.

Nimmst du wahr, was um dich herum passiert? Und wie du dich dabei jeweils gerade fühlst?

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Schreiben

Ich nehme mir vor, einmal im Monat neue Geschichten für meinen Blog zu schreiben. Der Monat endet und ich hatte keine neuen Ideen. Ich krame in meinem Hirn danach, was ich erlebt habe, aus dem ich eine Geschichte machen kann. Nichts will mir einfallen. Ich gehe meine Tage in der Schule durch und das, was ich privat erlebt habe. Nichts! Das gibt es doch nicht! Das ist doch nicht möglich, dass ich so rein gar nichts erlebt habe, was ich aufschreiben könnte. Na gut, beschließe ich, dann schreibe ich diesen Monat mal nichts. Ist ja auch nicht schlimm! Und kaum, dass ich diesen Gedanken zu Ende gedacht habe, fließen die Ideen. So passiert es nun schon zum zweiten Mal. Ich beschließe, in Zukunft eher loszulassen und darauf zu vertrauen, dass die Ideen schon kommen werden.

Wo hältst du an Gedanken fest und blockierst dadurch den Fluss von Ideen und Energien? Kannst du dir vorstellen, das nächste Mal, wenn du eine Blockade wahrnimmst, loszulassen und zu vertrauen?

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Neu Delhi

Ich spaziere den Boulevard Saint Denis in Paris entlang. Dort konzentrieren sich die indischen, srilankischen und pakistanischen Geschäfte und Restaurants. Ich betrete ein Geschäft. Der Duft von Sandelholz und die Klänge fremder Musik umarmen mich. Und ich erinnere mich an meine Jahre in Neu Delhi.
Wie schwer tat ich mich, mich in dieser fremden Kultur zurechtzufinden. Nichts war mir dort vertraut, rein gar nichts. Nicht ein Wort dieser fremden Sprache (Hindi) verstand ich. Die Bollywood-Songs, die aus den offenen Fenstern der Siedlung drangen, waren für meine Ohren unmelodiös. Das Essen war von einer Schärfe, die meinen Darm anfangs sehr strapazierte. Ich hatte bis dahin noch nie eine frische reife Mango oder Guave gegessen oder wusste nicht, was eine Jackfruit ist und bei Koriander dachte ich, ich würde auf Geranien kauen. Und noch nie hatte ich Überbevölkerung erlebt: Menschen, Menschen, Menschen überall. Es wurde gedrängelt, geschoben und gedrückt ohne Rücksicht auf Abstand zum Gegenüber, in Geschäften, in öffentlichen Verkehrsmitteln, im Verkehr.
Nichts von dem Klima erinnerte auch nur im entferntesten an das, was ich aus Deutschland kannte. Nur von Dezember bis Februar waren die Temperaturen angenehm für mich. Die Hitze im Sommer mit über 40°C war dann noch erträglicher als der Monsun im September mit 90% Luftfeuchtigkeit bei über 30°C. Ich fand es schwer zu verstehen und mich darauf einzustellen, dass es immer wieder Stromunterbrechungen gab und nur zu bestimmten Zeiten fließendes Wasser. Bei jedem Einkauf wurde um den Preis gefeilscht. Festpreise gab es nicht.
Und keiner verstand, worüber ich mich beklagte, kannten alle es doch nicht anders als voll, heiß und gedrängt.
Es waren keine leichten Jahre und ich kann heute auch nicht mehr sagen, ob ich mich überhaupt wirklich auf das Land eingelassen habe. Tief geprägt haben mich die drei Jahre in Neu Delhi dennoch: Heute liebe ich scharfes indisches Essen. Ich liebe Koriander und bedauere, dass ich hier keine frische Jackfruit bekomme und ich liebe es, um Preise zu feilschen, wo immer es möglich ist. Mit tiefer Wertschätzung genieße ich, dass ich immer Strom und Wasser zur Verfügung habe und dass Menschen in Bussen, Bahnen und Geschäften auch ohne Corona Abstand zueinander halten. Die Jahre in Indien haben meinen Blick geweitet, meine Geschmacksknospen trainiert und mich dankbar für mein Leben in Deutschland gemacht.

Was hat deinen Blick geweitet? Kannst du dankbar für dein Leben in Deutschland sein?

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