Holleck-Weithmann

Guten Morgen

Gegen 7 Uhr morgens stehe ich auf dem Weg zur Schule an einer roten Ampel. Eine Frau in Arbeitsanzug sammelt auf dem Bürgersteig Müll auf. Ich öffne das Beifahrerfenster und rufe ihr „Guten Morgen“ zu. Sie schaut verwundert auf, sieht mich und ein Lächeln breitet sich auf ihrem Gesicht aus. „Ich wünsche Ihnen einen wunderschönen Tag“, füge ich hinzu. „Das wünsche ich Ihnen auch“, antwortet sie. Die Ampel springt auf Grün und ich fahre weiter. Ich spüre eine große Freude durch diesen kurzen Kontakt mit einer mir völlig unbekannten Person. Erst im Weiterfahren bemerke ich, dass in dem Kontakt ein Wohlwollen und eine Freundlichkeit entstanden sind, die mich in den Vormittag tragen.

Wann hat dir zuletzt eine unbekannte Person ein Lächeln geschenkt? Konntest du es annehmen? Was hat es in dir ausgelöst?

Wann hast du zuletzt einer unbekannten Person ein Lächeln geschenkt? Wie hat sie reagiert?

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Gerädert

Ich wache auf und fühle mich gerädert und erschlagen. Ich erinnere mich an das Buch von Mechthild von Scheurl-Defersdorf über die Kraft der Worte (siehe 7. März), an die Wechselwirkung zwischen der Sprache, die ein Mensch spricht und dem, was die Person in ihrem Leben erlebt. Und ich formuliere um: Ich fühle mich heute schwer und ohne Energie.

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Gehört werden

Ich komme aus dem Garten zurück und merke, dass die Thermoskanne, die ich mitgenommen hatte, ausgelaufen ist. Das Buch, das ich dabei hatte, ist nass geworden. Gottseidank war es nur Wasser. Das Buch ist aus der Bibliothek und da mir so etwas schon mal passiert ist, weiß ich, dass die Bibliothek das Buch nicht zurücknimmt und den Preis für ein neues verlangt. So ein Ärger.
Eine Freundin ruft an. Ich erzähle ihr, was mir gerade passiert ist. „Ach, vergiss es“, sagt sie. Wie soll ich das vergessen? Das Buch liegt gerade vor mir in der Sonne zum Trocknen. „Ich finde das total ärgerlich“, wiederhole ich. „Ich leihe mir doch gerade Bücher aus, um mir keine kaufen zu müssen. Das ist so unnötig.“ – „Das passiert halt schon mal“, meint sie dann noch.

Und ich würde einfach nur gerne gehört werden, z.B.: „Ja, es ist so nervig, dass das Buch nass geworden ist und du es jetzt bezahlen musst. Du leihst dir doch gerade Bücher aus, damit du keine kaufen musst, oder?“

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Wer ist „man“?

Ich stehe im Lehrerzimmer mit einer Kollegin an der Kaffeemaschine, die auf der Geschirrspülmaschine steht. Sie öffnet die Geschirrspülmaschine, schaut rein und meint: „Oh, die müsste man auch mal wieder anstellen.“ Und ich frage sie: „Und wer ist man?“ Später habe ich Zeit und stelle die Maschine an.

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53 Nachrichten

Ich bin in einer Whatsapp-Gruppe von meinem Chor. Da wir uns zur Zeit nicht treffen können, gab es einen kurzen Austausch in der Gruppe, wie es uns so geht während der Corona-Zeit. Ich habe anschließend mein Smartphone weggelegt und erst viel später wieder draufgeschaut. In der Zwischenzeit waren 53 Nachrichten eingegangen. Als ich nachschaute, sah ich, dass sich 2-3 Teilnehmerinnen der Chor-Whatsapp-Gruppe intensiv über ein Rechenrätsel ausgetauscht hatten. Also nichts, was mit dem Chor zu tun hat. Ich war richtig verärgert. 53 Nachrichten!
Ich war eine ganze Weile mit dem Ärger verhakt: „Können die sich denn nicht privat mit Rechenrätseln beschäftigen? Ich finde Matherätsel einfach nur doof. Das müssen doch nicht alle mitkriegen! 53 Nachrichten. Das nervt!“ Darauf habe ich ganz schön lange rumgekaut. Dann erst konnte ich nach meinen Bedürfnissen schauen: Mir ist eine effektive Nutzung und Klarheit in der Struktur wichtig, d.h. für mich, dass ich die Whatsapp-Gruppe Chor für Sachen, die den Chor angehen nutzen möchte, z.B. für Terminabsprachen, den Austausch über Noten und Lieder usw. Erst als ich für mich klar hatte, worum es mir geht, konnte ich in die Freude reinspüren, die diese 2-3 Frauen an und mit dem Rechenrätsel hatten.
Und mir ist dabei nochmal klar geworden, wie wichtig es ist, dem Ärger und den ‚Wolfsgedanken‘ Raum zu geben. Nur dann können sie sich wieder beruhigen. Auch sie wollen gesehen und gehört werden.

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Kürbiskerne

Ich bin begeisterte Gärtnerin und habe ein Grundstück von der Stadt gepachtet. In dem wachsen Obststräucher, Zwergobstbäume, Blumen und Gemüse. Für die kommende Saison will ich Hokkaido-Kürbisse vorziehen. Ich könnte Samen oder sogar Pflänzchen kaufen. Ich entschließe mich aber, einen Hokkaido zu kaufen, daraus etwas zu kochen und diese Samen zu verwenden. Als ich den Kürbis öffne, bin ich völlig verblüfft über die Anzahl der Kerne. Natürlich habe ich schon öfter Kürbisse gekauft und etwas damit gekocht, nur bin ich mir bisher noch nie der großen Anzahl der Kerne so bewusst geworden. Ich habe sie dann tatsächlich gezählt. An die 100 waren es! Aus einem Kürbis lassen sich, sollte man denn den Platz dafür haben, ca. 100 weitere Pflanzen ziehen. Die wiederum produzieren je nach Wetter und Bodenbeschaffenheit jede 2-4 Kürbisse.

Mir geht es hier nicht um Gartenweisheiten. Worauf ich hinaus will, ist die schiere Fülle, die ich im Innern des Kürbisses vorfand. Und das an einer völlig unerwarteten Stelle und zu einer Zeit, als noch ein Mangel im Außen ist: Die meisten Geschäfte sind geschlossen und Kontakte sollen möglichst vermieden werden.
Und da war die Fülle. Mitten im Kürbis: Die Entdeckung hat mir solche Freude bereitet und sie hat mich eine ganze Zeit lang getragen und genährt. Und auch jetzt wieder, beim Schreiben, kann ich daran anknüpfen.

Kennst du Fülle? Erlebst du Fülle? Wo erlebst du Fülle? Vielleicht überrascht sie dich ja auch an völlig unerwarteten Orten und in unerwarteten Momenten.

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Gehalten werden

Am Ende der Sackgasse, in der ich wohne gibt es eine kleine Allee von Kastanien. Jetzt im Frühjahr wird der Wald wieder grün und ganz dicht und die Allee bildet durch die sich oben schließenden Kronen ein Dach. Sie umhüllt mich und ich fühle mich ganz in ihr geborgen. Ich spaziere oft dorthin und genieße das Gehaltenwerden. Ich fühle mich warm geborgen wie in den Armen eines geliebten Menschen.

Gibt es einen Ort für dich, an dem du dich gehalten und geborgen fühlst?

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Wortprobe

Eine Wortprobe ist so was ähnliches wie eine Weinprobe. Da nehmen wir einen Schluck Wein in den Mund und kosten ihn. Wir achten auf den Geschmack und auch auf den Nachgeschmack. Nur wenn der Wein uns schmeckt, nehmen wir mehr davon.

So ähnlich ist es mit einer Wortprobe. Auch da nehmen wir ein Wort in den Mund und schmecken ihm nach. Dann merken wir, ob ein Wort uns angenehm ist und uns wohltut oder ob es uns unangenehm ist. Jedes Wort wirkt und hat eine Wirkung. Bei normalem Sprechtempo achten wir nur auf die Inhalte und nicht auf die Wirkung der einzelnen Wörter.

Lesen Sie die einzelnen Wörter langsam durch. Machen Sie jeweils eine Pause zwischen den Wörtern. Lauschen Sie dem Klang und horchen Sie in sich hinein:

„Quelle – Quellwasser – Apfelbaum – behutsam – müssen – schnell – Flughafen – Airport – Wohlwollen – Lächeln – Dankeschön“.

Gibt es dabei ein Wort, das bei Ihnen eine angenehme Empfindung auslöst? Gibt es eines, das eine unangenehme Empfindung auslöst?

Wortproben sind dafür da, sich die Wirkung eines Wortes bewusst zu machen. Wir können uns immer wieder neu bewusst machen, ob uns ein Wort gut tut. Die können wir dann bewusst gebrauchen oder auch bewusst in unsere Sprache aufnehmen. Umgekehrt können wir uns belastende Wörter erkennen und sie dann reduzieren oder ganz aus unserer Sprache streichen.

Noch etwas geschieht bei den Wortproben: Wir üben, Denken und Fühlen in Einklang zu bringen. Wer seine Gedanken fühlt und gleichzeitig denkt, der steigert damit die Kraft seiner Gedanken und somit seine eigene Wirksamkeit.

Es gibt eine Wechselwirkung zwischen der Sprache, die ein Mensch spricht, und dem, was er in seinem Leben erlebt.

Aus: Mechthild R. von Scheurl-Defersdorf,  In der Sprache liegt die Kraft  –  Klar reden. Besser Leben

 
www.youtube.com/watch?v=GDIyIviEGpQ


Welche Wörter tun dir gut? Benutzt du sie täglich?

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Stehen

Gerade in Krisenzeiten ist das Stehen sehr wichtig: Wir bleiben standhaft und können widerstehen.

Wie stehst du gerade? Stehst du stabil? Fest verwurzelt? Oder eher schwankend?

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Experiment in der U-Bahn-Station

An einer U-Bahn-Station in Washington DC spielte an einem Morgen ein Mann für 45 Minuten auf seiner Violine sechs Stücke von Bach. Während dieser Zeit benutzten ca. 2000 Menschen diese Haltestelle, die meisten auf dem Weg zur Arbeit.

Nach etwa drei Minuten bemerkte ein Passant die Musik. Für ein paar Sekunden verlangsamte er seine Schritte, um dann schnell wieder seinen Weg zur Arbeit fortzusetzen.
Vier Minuten später: Der Geiger erhält seinen ersten Dollar. Eine Frau wirft ihm das Geld in seinen Hut, ohne ihr Tempo zu verringern.
Sechs Minuten später: Ein junger Mann lehnt sich gegen die Wand, um zuzuhören, dann blickt er auf seine Uhr und setzt seinen Weg fort.
Zehn Minuten später: Ein dreijähriger Junge bleibt stehen, um dem Musiker zuzuhören, aber seine Mutter zieht ihn weiter. Mehrere Kinder verhalten sich so, aber die Eltern drängen weiter.
Nach 45 Minuten: Nur sechs Menschen sind stehen geblieben und haben ihm zugehört. Ca. 20 gaben ihm Geld. Seine Gesamteinnahmen lagen bei 32 Dollar.
Nach 1 Stunde: Der Musiker beendet seine Darbietung und es wird still. Niemand nimmt Notiz und niemand applaudiert.
Niemand wusste es, aber der Musiker war Joshua Bell, einer der größten Musiker der Welt. Er spielte eines der schwierigsten Stücke, die je geschrieben wurden, auf einer Violine im Wert von 3,4 Mio. Dollar.
Zwei Tage zuvor spielte er in Boston das gleiche Stück zu einem Preis von durchschnittlich 100 Dollar pro Sitzplatz.
Auftraggeber des sozialen Experiments über Wahrnehmung, Geschmack und Prioritäten war die Washington Post.
Das Projekt warf folgende Fragen auf:
Können wir Schönheit in einem alltäglichen Umfeld, zu einem unangemessenen Zeitpunkt wahrnehmen?
Wenn dem so ist, nehmen wir uns die Zeit sie wertzuschätzen? Erkennen wir Talent in einem unerwarteten Kontext?
Eine mögliche Schlussfolgerung könnte sein:
Wenn wir nicht einen Moment Zeit haben anzuhalten und einem der besten Musiker zuzuhören … wie viele andere Gelegenheiten verpassen wir, während wir durchs Leben hasten?

Aus einer Rundmail zu: 


Und ich frage mich: Wäre ich stehen geblieben?

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