Freie Christengemeinde

Ich bin schon öfter an dem Schild “Freie Christengemeinde – Gottesdienst Sonntag, 10.30 Uhr” vorbeigekommen und dachte, da gehe ich mal hin. An diesem Sonntag setze ich meinen Vorsatz in die Tat um und besuche den Gottesdienst. Ich werde am Eingang freundlich begrüßt und willkommen geheißen. Das ist schon mal anders im Vergleich zu der Kirche, in die ich sonst gehe. Die ankommenden Besucher begrüßen sich, es scheinen sich alle zu kennen. Vorne stehen ein Schlagzeug, ein E-Piano und eine Gitarre. Der Gottesdienst beginnt. Nach einer kurzen Begrüßung wird gesungen, alles Lieder, die ich nicht kenne, es gibt kein Gesangbuch, die Texte werden auf die Wand vorne projiziert. Die Teilnehmenden stehen auf, klatschen und bewegen sich zur Musik. Es gibt keine Lesung, weder aus dem Alten noch aus dem Neuen Testament. Es folgt eine ausgedehnte und langatmige Predigt, bei der ich irgendwann den Faden verliere. Nach weiteren Liedern endet der Gottesdienst.
Ich muss an Brot denken. Ich liebe und bevorzuge mein Lodève-Brot, aber deswegen lehne ich Schwarzbrot oder Fladenbrot nicht ab, ich esse es nur seltener. So geht es mir auch mit dem Gottesdienst: Ich fühle mich in meiner Kirche beheimatet, aber deswegen lehne ich andere nicht ab.

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Zufall?

Es ist Samstag, Sonne und Regen wechseln sich ab. Es ist ein ruhiger Tag, ich habe keine Termine und keine Verabredung. Das Wetter lädt nicht zur Gartenarbeit ein. Es ist eigentlich das passende Wetter, um etwas am Schreibtisch oder am PC zu arbeiten. Ich koche und höre im Radio eine Sendung zum Thema Zufall. Der Autor berichtet von der Qualität der Zufälle und was sie für uns bereithalten können. Ich mache mir einen Tee. Dunkle Wolken ziehen auf und ein Gewitter bricht los. Ein heftiger Regen peitscht herunter. Das Telefon klingelt. Marion ist dran. Sie will unseren vereinbarten Arbeitstermin am nächsten Morgen absagen. Gut, warum arbeiten wir nicht jetzt, schlage ich vor. Sie willigt ein und so finden wir uns zwanzig Minuten später telefonisch zusammen ein. Die Besprechung läuft sehr geschmeidig. Wir sind beide sehr zufrieden. Und ich freue mich, dass ich jetzt auch noch am Sonntagmorgen in den Gottesdienst der freien Christengemeinde gehen kann. Besser hätte es nicht zusammentreffen können. So ein Zufall?

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Die Turteltauben

Von meinem Sofa aus sehe ich einen hohen Baum vor meinem Fenster, auf dem zwei Turteltauben leben. Immer wieder sehe ich sie einträchtig nebeneinander sitzen. Mal putzt die eine ihr Gefieder, mal die andere. Mal fliegt eine weg und die zweite hinterher, mal bleibt die andere auf dem Ast sitzen. Kommt die erste zurück, reiben sie ihre Schnäbel aneinander, bis sie wieder einträchtig nebeneinander sitzen. Ich habe sie auch schon streiten sehen … oder haben sie gebalzt? Manches Mal sitzen sie getrennt auf gegenüberliegenden Ästen, später dann wieder nebeneinander auf dem Ast. So würde ich gern eine Beziehung führen: Sich aneinander freuen und sich gegenseitig sein lassen können.

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Mein Lieblingsbrot

Ein französischer Bäcker bietet auf dem Wochenmarkt in St. Ingbert sein Brot an. Irgendwann habe ich dort mal ein Baguette gekauft. Es schmeckte mir ausgesprochen gut. Mit der Zeit wurde es zu meiner Gewohnheit, auf dem Markt einzukaufen und Brot von dem französischen Bäcker Brot mitzunehmen. Ich probierte auch andere Sorten aus, die sie dort im Angebot hatten und entdeckte das ‘Lodève’. Das wurde mein absolutes Lieblingsbrot. Leider war es schnell ausverkauft. So kaufte ich, wenn es noch da war, gleich mehrere und fror sie ein. An einem der Samstage hatte der Bäcker tatsächlich vergessen, diese Brotsorte zu backen und ich musste auf eine andere Sorte ausweichen. An manchen Samstagen, an denen ich ein Seminar hatte, fuhr ich sogar vor dem Seminar auf den Markt.
Jetzt war meine Reserve aus der Tiefkühltruhe aufgebraucht. Um sicherzugehen, dass ich mein Lodève-Brot bekam, stellte ich an dem Samstag den Wecker, um möglichst früh auf den Markt zu kommen. Ich war also vor neun dort, voller Vorfreude auf ein getoastetes Frühstücksbrot mit selbstgemachter Marmelade später zu Hause. Ich ging sogar noch zur Bank, um ausreichend Geld für 4 oder 5 Lodève-Brote zu haben. Voller Elan und Zuversicht näherte ich mich dem Brotwagen … Und der Brotwagen war nicht da. Ferien? Waren in Frankreich etwa Ferien? Denn in den französischen Schulferien machte auch der Brotwagen Pause, das hatte mal an einem Schild am Wagen gelesen. Aber die Ferien in Frankreich hatte ich nun wirklich nicht im Blick. Oder sollte ich mich vielleicht auf Dauer von meinem Lieblingsbrot verabschieden? Der Aufwand war doch recht hoch.

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Der Same

Es ist Frühjahr. Aus dem Garten nehme ich Blumentöpfe und Erde mit. Zu Hause befülle ich die Töpfe mit der Erde und stelle sie auf die Fensterbank. Dann geht es zur Auswahl der Samen. Wie viel von welchem Gemüse will ich dieses Jahr im Garten anpflanzen? Vorsichtig verteile ich Zucchini, Kürbis, Rote Bete, Mangold, Mais und Gurkensamen auf die Töpfe. Jetzt kommen die Tomaten an die Reihe. Ich habe von den Tomaten, die ich letztes Jahr geerntet habe, Samen getrocknet. Es sind verschiedene, alle sortenrein, und ich kann sie Jahr für Jahr wieder aussäen. Voller Andacht trenne ich die winzigen Samen von dem Krepppapier, auf dem sie beim Trocknen kleben geblieben sind. Kaum einen Millimeter groß ist eine Sorte. Aus diesem so unscheinbaren winzigen Etwas wird den Sommer über eine prächtige Tomatenpflanze heranwachsen, die dann 6 bis 8 faustgroße dunkelrote köstliche Tomaten trägt.

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Türkei 4

Morgenroutine
Zwischen 8 und 10 Uhr strömen regelmäßig Gäste zum Frühstück ins Restaurant und dann wieder zurück in ihre Zimmer. Es wird geraschelt, geräumt, überlegt und besprochen, wie und wo man den Tag verbringen will. Dann wird gepackt: Badesachen, Badetuch, Wasserflaschen, Snacks für die Kinder. Die Putzfrauen gehen durch die Zimmer, junge Männer tragen Kartons und Säcke mit irgendetwas durch den Hof. Wäsche wird gebracht und abgeholt. Gegen 12 Uhr herrscht Ruhe. Die Gäste sind am Pool, am Strand, auf einem Ausflug oder sonst irgendwo unterwegs, die Zimmer sind gemacht. Ruhe. Man hört die Vögel, die Tauben gurren und ab und zu ruft der Pfau. Knapp eine Stunde später laufen die ersten Gäste wieder Richtung Restaurant für einen Mittagsimbiss.

Familiendrama
Der Vater liegt auf einer Liege am Strand in sein Handy vertieft. Seine Kinder, ein kleiner Junge und ein Mädchen, spielen am Wasser. Der Junge trägt nur eine Badehose, das Mädchen Jeansshorts und ein T-Shirt. Die beiden gehen immer tiefer hinein, bis das Wasser an die Shorts des Mädchens reicht. Sie erschrickt und geht zurück ins Flache. Der Vater ist weiterhin ganz in sein Handy vertieft. Kurz darauf sehe ich sie wieder im Wasser, diesmal geht das Mädchen noch tiefer hinein, bückt sich, taucht kurz unter und hebt etwas vom Meeresboden hoch. Jetzt sind ihre Kleider ganz nass. Als sie wieder raus ist und es dem Vater zeigt, sagt er: “Na, warte nur, bis Mama kommt.” Die Kinder spielen weiter. Der Junge ist schon ganz rot. Ob er wohl eingecremt ist, frage ich mich. Nach einer ganzen Weile kommt die Mutter. Ungläubig schaut sie die nassen Kleider des Mädchens an und die geröteten Schultern des Jungen. Dann wendet sie sich an ihren Mann und ein Streit bricht los. Die Mutter zieht mit den beiden Kindern ab. Der Vater vertieft sich wieder in sein Handy.

Sternehotel
An dem Hotel, an dem ich gerade langsam vorbeiradle, sehe ich saftig grüne Rasenflächen, die mit Wasser gesprengt werden. Kellner in weißen Uniformen bedienen beflissen die Gäste. Die Atmosphäre im Garten wirkt elegant-gediegen. Hier laufen sicher keine Katzen frei herum. Ich genieße es, in einem Einsternehotel zu sein. Alles ist lockerer, Kinder toben herum und werden auch nicht darin gehindert; Katzen sonnen sich und lassen sich streicheln. Das Personal trägt nur ein T-Shirt mit dem Hotelnamen, Angestellte, die etwas transportieren oder in Stand setzen, tragen Arbeitskleidung. Ich habe den Eindruck, dass mein Hotel vielleicht etwas mehr den türkischen Alltag widerspiegelt als das geleckte Sternehotel, das ich gerade hinter mir lasse. Und von denen ich bei der Hotelsuche im Internet ziemlich viele gesehen habe.

Paare
Im Hotel sind viele Paare, ältere und jüngere und Familien mit Kindern. Ich mache Urlaub alleine. Ich grüße die, denen ich begegne. Ins Gespräch komme ich nur ganz sporadisch, meist mit anderen Katzenliebhabern. Mehr Gespräch ergibt sich nicht. Haben die Paare genug aneinander? Oder fürchten sie, dass ich mich an sie dranhänge? Oder bemerken sie mich nicht? Oder denken sie, dass ich meine Ruhe haben will und alleine bleiben möchte?

Bässe
Es ist 10 Uhr morgens. Das Meer ist ganz ruhig, am Himmel wenige Schleierwolken. Ich laufe die Promenade entlang. Von irgendwoher wummern laute Bässe. Ich suche mit den Augen die Richtung ab, aus der das kommt. Ich mache einen kleinen Punkt auf dem Meer aus. Der Punkt nähert sich. Es ist ein Speedboot, das für Ausflüge gebucht werden kann. Aus der Ferne beschallt es mit seinen Bässen die ganze Bucht.

Fliegen
Ich bin wieder zu Hause und blicke zurück. Auf der Hinreise musste ich zwei Stunden vor Abflug am Flughafen sein. Eine Bekannte brachte mich noch eine Stunde früher hin, weil sie später keine Zeit mehr hatte. Einchecken, Passkontrolle, Warten, 3.20 Uhr Flug, Warten auf das Gepäck, Warten auf weitere Gäste für den Transfer, 1 Uhr Fahrt zum Hotel. Auf dem Hinflug war ich 12 Stunden unterwegs von der Haustür bis zum Hotel. Auf dem Rückflug waren es etwa 10 Stunden. Für den bin ich in der Türkei um 2.30 Uhr aufgestanden, der Transferbus hat mich um 3 Uhr abgeholt, um 7.35 Uhr ging der Flug. Zu Hause angekommen, packe ich aus und lege mich hin. Ich bin durch das frühe Aufstehen völlig übermüdet. Am Nachmittag wasche ich Wäsche, hole meine Katze aus der Katzenpension ab und schaue mir in Internet nochmal die Flugroute an. Um 19 Uhr bin ich völlig durchgenudelt, friere und gehe ins Bett. Ich bin bei 25° abgeflogen und bei 11° und Regen gelandet. Ich wache am nächsten Morgen gegen 6 Uhr auf. Und beginne mich zu fragen: War der Urlaub die ganze Reise, den Zeitaufwand und die Umstellung auf dem Rückflug wert?

Nachtrag
Ich habe viel Neues gesehen und erlebt in einer Woche Türkei. Ich hatte Sonne pur, ich habe die Römischen Ruinen von Side gesehen, ich habe im Meer gebadet, ich habe in einem Orangenhain köstliche Gerichte gegessen und ich habe nichts von dem gefunden, was ich eigentlich brauchte. Wieder ganz tief in Kontakt mit mir zu kommen, ohne Ablenkung, ohne mich mit dem Außen auseinandersetzen zu müssen, den ganzen Raum für mein inneres Erleben zu haben. Ich habe viel gesehen und erlebt und ein neues Land kennengelernt, aber das, was ich wirklich brauchte, habe ich nicht gefunden. Bei der Buchung hat plötzlich die Neugier überwogen und die Reise, bei der ich mich um nichts weiter kümmern musste, war nur einen Klick entfernt. Ich habe nicht ausreichend beachtet, wie viel Ruhe und Natur ich brauche und dass ich das bei Pauschalreisen vielleicht nicht bekomme.

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Türkei 3

Spaß im Urlaub
Von einem Ehepaar auf der Promenade höre ich im Vorbeigehen, wie er in gereiztem Tonfall sagt: “Warum kann man sich nicht einfach mal irgendwohin setzen und was trinken?” Sie antwortet, genervt: “Ja, dann sag doch, was du willst.” Ob ein gemeinsamer Urlaub so Spaß macht, frage ich mich.

Gs, gs, gs
Als ich in Saarbrücken am Flughafen ankomme, wartet schon ein älterer Türke aufs Einchecken. Ich bin ganz überrascht, ihn am nächsten Tag im meinem Hotel in der Türkei zu sehen, in Arbeitskleidung. Ich spreche ihn an: “Sie machen hier keinen Urlaub, oder?“ Er gibt mir zu verstehen, dass er kein Deutsch versteht. Ab da verfolgt er mich mit seinen Blicken, wenn ich zu den Mahlzeiten gehe. Nach der Mahlzeit stellt er sich in mein Blickfeld, um eine zu rauchen. Auffallend oft hält er sich vor meinem Balkon auf. Als ich ihm irgendwann begegne, versucht er mich mit “Gs, gs, gs!” auf sich aufmerksam zu machen. Ich bin 61. Hört das denn nie auf mit der Anmache?

Begegnung
Ich laufe durch Manavgat. Ein einheimischer Mann und eine ältere Frau kommen mir entgegen. Ich sehe sie, mehr nicht. Wir gehen aneinander vorbei. Dann höre ich hinter mir: “Hallo, hallo!” Ich drehe mich um, der Mann kommt auf mich zu und sagt auf Deutsch: “Wir kennen uns. Ich war letztes Jahr im Sommer mit meiner Frau und meinem Sohn auf Ihrer Familienfreizeit im Odenwald.” Jetzt fällt bei mir der Groschen. “Manavgat ist meine Heimatstadt und ich besuche gerade meine Mutter.” Ja klar, ich erinnere mich an die Familie und freue mich über die Begegnung. Wir plaudern noch ein wenig. Wie klein die Welt doch ist!

Türkische Riviera
Ich bin in der Rezeption in meinem Hotel in Side. Der junge Reiseleiter kommt und begrüßt mich freundlich. Wir plaudern und im Laufe des Gesprächs erzählt er mir, dass Side in deutscher Hand sei und Alanya in russischer Hand. Ich stutze. Und frage mich: Und welche Küstenorte gehören den Türken?

Anspruch
Auch wenn ich für diese Reise bezahlt habe, sehe ich daraus keinen besonderen Anspruch für meinen Aufenthalt hier erwachsen. Ich freue mich über das Wetter, die Freundlichkeit der Menschen und die wunderbaren Vorspeisen und vielfältigen Gerichte. Auch wenn ich mit meiner Halbtagstätigkeit mehr verdiene als jede Vollzeitarbeitskraft im Hotel und aus einem vergleichsweise reichen Land komme, leiten sich für mich daraus keine besonderen “touristischen Rechte” ab. Ich bin hier Gast, genieße das, was mir geboten wird und bin dankbar dafür.

Evelyn
Ich lerne Evelyn kennen, eine Deutsche, die seit 20 Jahren in der Türkei lebt und fließend Türkisch spricht. Sie zeigt mir Geschäfte, an denen Touristen wohl eher vorbeigehen und übersetzt bei meinem Einkauf. Sie fährt mit mir zu einem Restaurant in einem Orangenhain außerhalb der Touristenpfade, wo wir einen herrlichen Nachmittag verbringen. Ich schätze ihre Erfahrungen und ihren Blick, der den meinen öffnet und erweitert. Ich lerne durch sie etwas von der Türkei kennen, wie eine Einheimische sie sieht.

Vorteile? Nachteile?
Ich verbrauche Wasser und Lebensmittel. Ich hinterlasse meinen Müll und Schmutzwasser. Beides zusätzlich zu dem, was die einheimische Bevölkerung verbraucht und hinterlässt. Bringe ich mehr Vorteile ins Land, durch das Geld, oder doch mehr Nachteile? Oder gleicht sich das aus?

Russland
Er erzählt mir, dass er eine Russin geheiratet und auch eine Zeit lang in Russland gelebt habe. In einigen Wochen werde er mit ihr dorthin zurückgehen. Das Leben in der Türkei sei sehr schwer, sagt er, die steigende Inflation und die Politik Erdogans. Nein, es mache keinen Spaß mehr, in der Türkei zu leben. Und Putin, frage ich nach? – Putin? Der sei nicht so schlimm wie Erdogan, antwortet er. Ich wundere mich. Warum glauben wir so oft, woanders sei es besser als da, wo wir sind?

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Türkei 2

Kommen und Gehen
Am zweiten Tag habe ich mehr oder weniger den Überblick, wer außer mir zu Gast im Hotel ist und wer welches Zimmer bewohnt. In der Nacht höre ich Geräusche, die ich zuerst nicht einordnen kann. Dann wird mir klar, dass es Rollkoffer auf den Steinplatten sind. Jemand reist ab oder jemand kommt an. Am nächsten Morgen fehlen Gesichter beim Frühstück und neue Menschen sehen sich suchend nach dem Restaurant um, so wie ich am ersten Tag. Die beiden Männer aus England aus dem Zimmer unter mir hört man über den ganzen Hof. Sie grüßen alle, die vorbeigehen mit lauter, durchdringender Stimme. Drei Tage später ist Stille. Sie sind abgereist. Das junge Paar, im Zimmer an der Ecke, immer mit einer Zigarette im Mund, er mit einem unzufriedenen Gesichtsausdruck, ist irgendwann auch weg. Kein Zigarettenrauch zieht mehr in mein Zimmer. Bei dem Ehepaar gegenüber höre ich abends Würfel klackern. Ihr abendliches Spielen werde ich hören, solange ich da bin. An meinem ersten Tag gab es eine Horde von Kindern, die im Pool planschten und die treppauf, treppab auf dem ganzen Hotelgelände Versteck spielten. Irgendwann höre ich sie nicht mehr. Es ist ein ständiges Kommen und Gehen. Nur das Personal, das bleibt. Wie viele Gesichter sehen sie wohl im Laufe eines Monats, ganz zu schweigen von einem ganzen Jahr?

Erholung
Ein Hotelpalast neben dem anderen säumt die Küste, einer größer und prächtiger als der andere. Der Strand ist gespickt mit Liegestühlen soweit das Auge reicht. Die Altstadt ist voller Restaurants und Geschäfte, vor denen allen jemand steht und einen zum Eintreten, zum Angucken, zum Essen, zum Buchen eines Ausflugs hereinbittet. Das Frühstück und das Abendessen im Hotel wird mit Musik aus Lautsprechern untermalt, so dass ich kaum die Vögel hören kann. So habe ich mir meinen Urlaub und Entspannung eigentlich nicht vorgestellt.

Side
Die Altstadt von Side ist auf den Ruinen, in den Ruinen und mit den Ruinen einer alten römischen Festung gebaut. Der Eingang zur Altstadt wird von einem beeindruckenden Säulengang gesäumt und man fährt auf ein imposantes Amphitheater zu. Überall stehen riesige Steinquader. Im Ort finden sich auf kleinen Plätzen und sogar in Geschäften zahllose in den Boden eingelassene Glasplatten, unter denen Überreste aus jener Zeit zu sehen sind. Auf freien Grundstücken stehen Mauerreste. Im Hotel ist ein Bogendurchgang, der aus dieser Zeit stammen könnte, und auch die Mauerreste auf dem Gelände, die das Gründstück an manchen Stellen abgrenzen, wirken so. Oder wurden sie dort hinversetzt? Und wie ist der Übergang aus der Römerzeit wohl vonstatten gegangen? Wurde die Festung einfach so verlassen? Oder gab es ein Erdbeben? Stand sie lange leer? Was haben die gemacht, die dann kamen? Haben sie sich in dem eingerichtet, was sie vorfanden? Haben sie die Steine genutzt und so gesetzt, wie sie es brauchten? Wer hat dann entschieden, das zu konservieren, was noch da ist? Heute ist alt und neu fest miteinander verwoben und kaum voneinander zu trennen. Was für eine Wirkung das Alte wohl auf das heutige Leben hat?

In der römischen Kaiserzeit war Side eine bedeutende Hafenstadt und einer der wichtigsten Handelsplätze in Kleinasien. Im 10. Jahrhundert wurde die Stadt jedoch aus unbekannten Gründen verlassen und die Gebäude begannen zu verfallen. Ein Erdbeben im 12. Jahrhundert zerstörte viele der noch verbliebenen Bauwerke endgültig.
1895 gründeten türkische Flüchtlinge aus Kreta auf den Ruinen der südlichen Hälfte das Fischerdorf Selimiye, dass in den 1970er Jahren als Badeort entdeckt wurde und seitdem, wie viele Orte an der Türkischen Riviera, einen andauernden touristischen Aufschwung erlebt.
(www.reisewuetig.com)

Kleiderordnung
Die Türkei ist ein muslimisches Land, wenn auch vielleicht liberaler als manch anderes muslimische Land. Ich sehe Türkinnen mit Kopftuch und ohne Kopftuch, Türken in langen Hosen und langärmeligen Hemden, junge Türken in Shorts. Und ich sehe Touristen, Männer mit freiem Oberkörper, ihren von der Sonne krebsroten Bauch vor sich hertragend, ich sehe Touristinnen in mehr als engen Shorts. Ist das, was ich trage passend? Die Frage beschäftigt mich immer wieder.

Katzen 1
Ich sitze ganz früh morgens auf einem Stuhl auf der Terrasse in einem noch geschlossenen Café und genieße die Menschenleere, die Stille und das ruhige Meer. Eine Katze kommt und springt unaufgefordert auf meinen Schoß. Eine andere Katze sitzt etwas weiter auf einem anderen Stuhl. Sie scheint wohl ängstlicher zu sein. Nach einer Weile springt die Katze von meinem Schoß herunter und wendet sich etwas anderem zu. Ich schaue ihr nach und in dem Moment springt die Katze, die auf dem Stuhl saß auf meinen Schoß. Ich genieße die Zuwendung der Katzen sehr.

Katzen 2
Nachts schleicht eine Katze über meinen Zimmerbalkon und durch die offene Verandatür zu mir ins Bett. Sie kuschelt sich ohne viel Aufhebens an mich an. Als ich mich zu ihr drehe, bleibt sie seelenruhig liegen, auch als ich sie zu streicheln anfange, murrt sie kein bisschen. Ja, sie dreht sich sogar auf den Rücken und lässt mich ihren Bauch streicheln. Ich bin verblüfft über dieses Vertrauen. Vielleicht habe ich sie die Tage schon mal gestreichelt? Dennoch, dass sie mir in der ersten Nacht so vertrauensvoll den Bauch zeigt, das verblüfft mich wirklich. Bei so vielen Menschen, die hier kommen und gehen – woher weiß sie, dass sie bei mir in guten Händen ist?

Katzen 3
Ich liebe Katzen. Ich liebe sie wirklich sehr. Ich habe ja auch selbst eine zu Hause. Ich bin beglückt, im Hotel auf so viele freundliche Katzen zu treffen, eine schöner als die andere, und die allermeisten lassen sich sehr gerne streicheln. Irgendwann fange ich an, ihnen Futter zu geben. Dann entdecke ich, dass nicht nur im Hotel, sondern überall Katzen leben, auf der Strandpromenade, in den Ruinenfeldern, überall streunen Katzen herum. Auf Spaziergänge nehme ich nun auch Futter mit und gebe es den Tieren, die mir über den Weg laufen. Eines Abends begegne ich einer jungen einäugigen Katze und gebe ihr etwas. Aus allen Ecken beginnen weitere hungrige Katzen herbeizuströmen. Ich zähle über dreißig Artgenossen, die sich auf das Futter stürzen. Jetzt wird es mir doch etwas zu viel mit den Katzen.

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Türkei 1

Erste Begegnung
Ich lande mitten in der Nacht in einem mir fremden Land. In den Unterlagen, die ich bekommen habe, steht genau, wo ich den Transferbus zum Hotel finde. Ein freundlicher junger Mann nimmt mich in Empfang. Er spricht kein Deutsch. Er nimmt das Übersetzungsprogramm auf seinem Handy zu Hilfe. Während wir auf weitere Gäste warten, tauschen wir uns angeregt aus. Wir lachen über die Missverständnisse, die trotz des Programms entstehen. Als wir nach einer Stunde Fahrt durch schlafende Ortschaften am Hotel ankommen, bedankt er sich herzlich. Was für eine freundliche erste Begegnung.

Tag eins
Der erste Tag in diesem mir fremden Land nimmt mich mit Sonnenschein in Empfang, mit Ruinen aus der Römerzeit, mit einem mir fremden Blütenduft. Später erfahre ich, dass es die Orangenblüten sind, die so duften. Gelb strahlen die Früchte am Zitronenbaum vor meinem Balkon mich an und es gibt viele freundliche Katzen. Ich sitze auf meinem Zimmerbalkon und lasse mich einlullen von dem Stimmengewirr der türkischen Zimmerfrauen, die sich über den Hof hinweg immer mal wieder etwas zurufen, von deutschen und englischen Wortfetzen der anderen Gäste, von der noch milden Märzsonne, die mich wärmt.

Renovierungsstau
In den Bewertungen im Internet stehen kritische Kommentare zum Zustand des Hotels. Das hat mich nicht abgeschreckt. Als ich dann vor Ort im Hotel bin, bestätigt sich diese Bewertung. Notdürftig sind Fugen in der Dusche abgedichtet, in den Ecken sind dunkle Flecken. Schimmel? Der Spiegel ist an einem Rand entlang blind und das Waschbecken ist nicht waagerecht montiert. Auf der Veranda, die zu den Zimmern führt, liegt eine abenteuerliche Konstruktion von Rohren und Leitungen. Und das alles stört mich nicht. Die Betten sind sauber bezogen, es gibt ein reichhaltiges und leckeres Frühstück und die Sonne scheint. Das ist alles, was ich brauche. Von allem anderen lasse ich mich nicht irritieren. Mehr zählt für mich nicht.

Tee
Auf dem Tresen stehen kleine Gläser für den Türkischen Tee und große Gläser für Wasser. Drei Kannen mit Teesud stehen bereit, der dann mit heißem Wasser aufgefüllt wird. Am ersten Tag gehe ich vier-, fünfmal Tee nachfüllen. Dann sehe ich jemanden eines der großen Gläser nehmen und Tee einfüllen. Das ist eine gute Idee, denke ich und mache das nach. In das Wasserglas geht vielleicht der Inhalt von drei bis vier kleinen Teegläsern, so spare ich mir das häufige Nachfüllen. An diesem Tag ist der Tee vor dem Ende der Frühstückszeit leer. Ich halte den Tee im Wasserglas für eine gute Idee, die Küche ärgert sich vielleicht, dass nicht die Teegläser verwendet wurden und der Tee vorzeitig leer ist.

Der Muezzin
Der Ruf des Muezzin hallt aus mehreren Lautsprechern durch die Nacht. Ich lausche dem Gesang und verstehe nicht mehr als ‘Allah’. Der Ausdruck dieser religiösen Praxis ist mir, wenn auch nicht unbekannt, so doch fremd. Erahne ich vielleicht in seinem Gesang die Leidenschaft, sich mit etwas Höherem als uns selbst verbinden zu wollen? Ruft er in der Form, die er erlernt hat, in der kulturellen Ausprägung, in die er hineingewachsen ist, den einen Gott an, den er Allah nennt und den ich in meiner kulturellen Prägung, in die ich hineingeboren bin, ‘Gott’ nenne? Und meinen wir vielleicht die eine selbe göttliche Kraft, die uns alle verbindet und größer ist als alles Menschliche?

Pauschalurlaub
Ich habe einen Pauschalurlaub gebucht mit Flug, Hotel und Halbpension. Als ich im Hotel ankomme, wird mir ein Safe für 10 Euro Miete pro Woche angeboten. WLAN kostet ebenfalls 10 Euro die Woche. Na gut, das wusste ich, dass WLAN nicht im Paket enthalten ist. Die Getränke zum Frühstück sind frei, Orangensaft kostet jedoch 3 Euro. Die Getränke zum Abendbrot sind nicht frei. Das Wasser aus dem Hahn solle man besser nicht trinken, wird mir geraten, ich solle lieber Wasser im Geschäft kaufen. Die Handtücher aus dem Zimmer sollen nicht am Strand oder am Pool benutzt werden, steht auf einer Information im Badezimmer. Strandhandtücher werden an der Rezeption für 3 Euro ausgeliehen.

Langeweile?
“Langweilen Sie sich denn nicht so alleine im Urlaub?”, werde ich gefragt. Mich langweilen? Nein. Endlich kann ich abschalten, muss auf nichts reagieren, keine Rede und Antwort stehen, keine Entscheidungen treffen, nicht überlegen, was noch alles anliegt, keine Mails beantworten. Und ich kann es sogar genießen, im Hotel kein WLAN zu haben. Endlich kann ich loslassen. Wieder ganz auf mich hören. Am Tag gibt es nur zwei Eckpunkte: Frühstück gibt es zwischen 8 und 10 Uhr und das Abendessen zwischen 18 und 20 Uhr. Den Rest der Zeit habe ich ganz für mich. Ich kann dem nachgehen, was in mir lebendig ist. Ich kann dem nachgehen, was mich ruft. Ich kann genau horchen und spüren, ob ich jetzt Ruhe brauche und sie mir einfach so nehmen. Ich habe lange Monate funktioniert. Jetzt kann ich meiner Seele wieder allen Raum geben, den sie braucht.

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Alt werden? Alt sein?

Wann habe ich angefangen über das Alter nachzudenken? Mit 50 war ich noch mitten drin im Leben, voller Energie. Gegen Ende der 50er merkte ich schon, dass meine Kräfte nachließen, besonders bei der Gartenarbeit, aber ich schrieb das noch nicht meinem Alter zu. Dann wurde ich 60. Ich hörte ein ums andere Mal: Das Alter ist doch nur eine Zahl. Oder: Man ist so alt wie man sich fühlt. Die Sechs vorne dran machte schon einen Unterschied. Mit 61 zog ich um und merkte jetzt ganz deutlich, dass meine körperlichen Kräfte abgenommen hatten und ich lange brauchte, um mich von der Anstrengung zu erholen. Eine Nachbarin, ein junges Mädchen, die meinen Einzug sah, sagte zu ihrer Begleiterin: “Da zieht eine Oma ein.” Ich stutzte. Wurde ich etwa als Oma wahrgenommen? Leute schauten überrascht, wenn ich sagte, ich sei 61, hatten sie mich doch jünger eingeschätzt. Ich trage einfach weiterhin Jeans und eine Kurzhaarfrisur und färbe meine Haare nicht. Es ist nicht mein Anliegen, jünger zu wirken, ich versuche aber auch nicht, mich “meinem Alter entsprechend” zu verhalten. Ich fühle mich offener und vielleicht noch interessierter als in jüngeren Jahren und obendrein gelassener und geduldiger. Wann würde ich mich alt fühlen? Was bedeutete das, “alt zu werden” oder “alt zu sein”? Ich hatte mit Sicherheit die längste Zeit meines Lebens hinter mir. Und wie viel Zeit würde mir noch bleiben? Das fragte ich mich durchaus das ein oder andere Mal.

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