Einwutzen

Ich besitze meine Kleider lange und kaufe nur selten etwas Neues. Ich kaufe nur, wenn ich wirklich ein Kleidungsstück ersetzen muss oder mir etwas besonders gut gefällt. Ich gehe selten in die Stadt in Geschäfte, um einfach nur mal so zu schauen. Mode interessiert mich nicht. Für die Schule ist es mir wichtig, mich gepflegt und sauber und auch einigermaßen abwechslungsreich zu kleiden. Im Garten trage ich Arbeitskleider. Da brauche ich keine Rücksicht zu nehmen. Ich wische meine erdigen Hände an der Hose ab, Obstflecken beim Beerenernten, ich knie in den Beeten und trage abgeschnittene Äste und volle Gartensäcke umher. Die Kleider sind anschließend dreckig, aber sie spiegeln meine Arbeit wider. Ich fühle mich richtig wohl in ihnen.

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Absicht

Mit welcher Absicht gehe ich in den Tag? Habe ich mich das schon mal gefragt? Ich fahre morgens ca. 25 Min in die Schule. Ich achte auf den Verkehr und lausche dem Radio. Vielleicht gehen mir auch Gedanken zu der einen oder anderen Gruppe durch den Kopf, die ich heute unterrichten werde. Aber mit welcher Absicht oder Energie ich in den Tag gehen möchte, das habe ich mich nur selten gefragt. Ich nehme mir für heute eine spielerische Absicht vor. Im Laufe des Tages erinnere ich mich an meine Absicht. Spielerisch. Der Tag ist wie jeder andere in der Schule, mal laut, mal unruhig, mal entspannt. Aber schon mich an meine Absicht zu erinnern, verändert etwas für mich, es verankert mich und richtet meine Perspektive auf einen zentralen Punkt. Das gibt mir immer wieder Orientierung.

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Ping! Pong!

Ich erzähle, dass wir in Indien einen Currystrauch im Vorgarten hatten und ich mittags einfach ein paar Blätter fürs Mittagessen abzupfen konnte. Er erzählt, dass sie in Österreich einen Aprikosenbaum im Garten hatten und er die Aprikosen direkt vom Baum essen konnte. Die hätten so viel besser geschmeckt als die, die man zu kaufen kriegt.
Ich erzähle, dass Indien eine so fremde Welt für mich war, dass es in den drei Jahren, die ich dort lebte immer wieder etwas Neues zu entdecken gab. Er erzählt, dass für ihn in den zwei Jahren in Österreich viel passiert sei und dann, in den Jahren in Neuenstein, viel mehr als in den Jahren jetzt hier.
Ich erzähle, dass ich in den Pfälzer Wald fahren und wandern und auch Kastanien sammeln werde. Er erzählt, dass er einmal aus Frankreich Kastanien mitgebracht habe, zwei Kilogramm und wie schnell die aufgegessen waren.
Am Ende bin ich ein bisschen enttäuscht und müde. Wir sind am selben Ort und sind uns innerlich gar nicht begegnet.

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Immer die anderen?

Wir sitzen nach der Messe oft noch in einer lockeren Runde zusammen und plaudern. Da ist Jan mit seiner Freundin Gabi, Ella, die gerade 80 geworden ist, Norbert und noch andere. Ich treffe Norbert an einem Nachmittag zufällig in der Stadt. Er begrüßt mich mit: Hallo, Christiane! Christine, entgegne ich ihm. Oh, meint er, da haben die anderen mir was Falsches gesagt. Haben sie das wirklich, oder hat er den Namen vielleicht nur falsch verstanden? Oder vergessen? Ich weiß es ja nicht. Aber ich weiß, wie schnell wir alle die Schuld auf andere schieben.

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Das stört

Ich habe einen Praktikanten, der mich im Unterricht unterstützt. Während er mit Leyla Mathe übt, übe ich mit Khalil lesen. Khalil ist in der 5. Klasse. Er ist Analphabet, kann noch kein Deutsch sprechen, aber versteht schon einiges. Er ist sichtlich gelangweilt und hat keine Lust. Es ist so mühsam, für ihn das Wort ‚Messer‘ zu formulieren. Er lenkt ab und wiederholt lautstark: „Mess-sssss, Mess-sssss, Mess-ssss.“ Der Praktikant und Leyla schauen genervt rüber. Als Khalil weitermacht, greift der Praktikant ein: „Das stört.“ Khalil schaut zu ihm rüber, versteht aber vermutlich nicht, was das heißt, ‚das stört‘ und was genau von ihm verlangt wird. Wieder fängt Khalil an, Laute zu machen. Auch mich strengen die Geräusche an. Ich zeige auf den Praktikanten und Leyla und sage: „Die sind leise.“ Dann zeige ich auf uns und sage: „Wir sind leise.“ Jetzt wird Khalil ruhig und arbeitet eine Weile konzentriert.

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Wie klein die Welt doch ist

Ich hatte am Samstag eine Einführung. Eine Teilnehmerin erzählt mir, dass ihre Nichte GFK-Trainerin geworden sei und sie durch sie die GFK kennengelernt habe. In der Pause frage ich sie, wer ihre Nichte denn sei. Pepita, in Göttingen. „Das gibt es doch nicht“, sage ich, „ich kenne Pepita, nicht persönlich, aber durch die Erzählungen von Heiko, einem Freund.“ Und die Teilnehmerin kennt Heiko. Nicht persönlich, aber durch die Erzählungen von Pepita. Wir müssen beide lachen.
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Fremdenfeindlichkeit

Ich unterrichte eine Gruppe von acht syrischen Mädchen aus vier verschiedenen Klassen. Wenn sie zusammenkommen, geht das Geschnatter los, in Arabisch, alle durcheinander. Sie bemerken mich kaum, nur wenn ich eingreife, horchen sie auf und sind kurzfristig ruhig. Dann legen sie wieder los. Mit lauter Stimme sage ich: „Ruhe“, und „Deutsch bitte“. Wieder herrscht einen Moment Ruhe und dann geht es wieder los. „Ihr könnt in der Pause Arabisch reden. Ich könnt zu Hause Arabisch reden. Ihr könnt am Wochenende Arabisch reden“, sage ich, und „im Unterricht bitte Deutsch.“ Wieder hält es nur wenige Minuten. Ich kann sie verstehen, weil es ihre Muttersprache ist, die sie natürlich brauchen, um sich so auszudrücken, wie sie es wirklich wollen. An manchen Tagen habe ich ein dickeres Fell und lasse sie reden. Und dann gibt es auch Tage, da reißt mir der Geduldsfaden und ich denke: Sie leben hier in Deutschland. Sie brauchen doch die Sprache, um sich hier zurechtzufinden, um hier Fuß fassen zu können. Ich glaube bei ihnen so wenig Interesse für diese neue Sprache, für das Land, das sie aufgenommen hat, wahrzunehmen und spüre den Keim der Ablehnung ihnen gegenüber. Ich entscheide mich ganz bewusst, diesen Weg nicht weiterzugehen.

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Die Massage

Ich habe in einem Thai-Massage-Salon eine 30minütige Massage für Nacken und Kopf gebucht. Als ich ankomme, werde ich in einen Raum gebeten und die Masseurin geht wieder. Ich warte. Sie kommt wieder und sagt: „Ausziehen.“ Ich zögere, ich will ja nur am Kopf und am Nacken massiert werden, dafür muss ich mich doch nicht ausziehen. „Bitte, ausziehen“, wiederholt sie. Ich ziehe meinen Pulli aus, nicht das Unterhemd. Wenn ich die Träger vom Unterhemd über die Schultern ziehe, ist der Nacken definitiv frei. Sie zieht mir das Unterhemd ganz runter. Ich soll mich hinlegen. Ich sage, ich will eine Massage am Kopf und Nacken. „Ja, ja, bitte hinlegen.“ Ich füge mich. Die Masseurin steigt mir auf mein Hinterteil und fängt an meinen Rücken zu massieren. Ich wiederhole: „Ich möchte eine Massage am Kopf und Nacken.“ – „Ja“, sagt sie und rückt ein Stück höher und massiert jetzt meine Schultern. Es ist angenehm, die Schultern massiert zu bekommen, ja, aber es ist nicht das, wofür ich gekommen bin. Noch einmal wiederhole ich, „bitte Kopf und Nacken“. Jetzt widmet sie sich kurz meinem Nacken und meinem Hinterkopf. Frustriert ziehe ich mich schließlich wieder an. Wie kann ich darauf bestehen, zu bekommen, was ich gebucht habe? Und wann füge ich mich in die Gegebenheiten? Und ich frage mich, ob sie mich überhaupt richtig verstanden hat.

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Zuversicht

Was gibt dir Zuversicht, fragt mich der Seminarleiter und fordert uns zu einem Austausch zu zweit auf. Wo finde ich Zuversicht, frage ich mich, während wir beide überlegen? Und mir fällt mein Garten ein. Der Garten ist mein Vorbild für den Zyklus im Jahresablauf. Die Jahreszeiten wechseln sich ab, es ist nicht immer nur Winter oder Sommer. Es folgt eine Zeit der Ruhe im Winter. Dann folgt die Zeit des Erblühens und der Aussaat. Daran schließt sich die Zeit der Fülle an Farben, an Früchten und Düften an. Nach der Fülle kommt die Zeit der Ernte und schließlich kommt wieder alles zur Ruhe. Dieser Rhythmus gibt mir eine tiefe Zuversicht im Hinblick auf den Ablauf von Höhen und Tiefen, von Dunkel und Hell, von Freude und Trauer. Von diesen Bildern erfüllt beginne ich das Gespräch.

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Was stinkt hier?

Ich fahre nach einem Einkauf bei ‚dm‘ nach Hause. Irgendetwas im Auto stinkt nach Chemie. Ich überlege: Ich habe Katzenfutter gekauft. Das kann es nicht sein. Ich habe Dosen mit Tomaten gekauft. Auch das kann nicht stinken. Ich habe Waschpulver gekauft. Ein biologisch abbaubares Produkt. Nein, auch das kann nicht so penetrant nach Chemie riechen. Und dann dämmert es mir. Ich war vor dem Einkauf beim Frisör und habe mir ausnahmsweise auch noch die Haare waschen lassen. Es sind meine Haare, die vom Shampoo einen so penetranten chemischen Geruch haben. Ich finde es unerträglich und bin genervt, sie mir zu Hause nochmal waschen zu müssen.

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