Türkei 3

Spaß im Urlaub
Von einem Ehepaar auf der Promenade höre ich im Vorbeigehen, wie er in gereiztem Tonfall sagt: “Warum kann man sich nicht einfach mal irgendwohin setzen und was trinken?” Sie antwortet, genervt: “Ja, dann sag doch, was du willst.” Ob ein gemeinsamer Urlaub so Spaß macht, frage ich mich.

Gs, gs, gs
Als ich in Saarbrücken am Flughafen ankomme, wartet schon ein älterer Türke aufs Einchecken. Ich bin ganz überrascht, ihn am nächsten Tag im meinem Hotel in der Türkei zu sehen, in Arbeitskleidung. Ich spreche ihn an: “Sie machen hier keinen Urlaub, oder?“ Er gibt mir zu verstehen, dass er kein Deutsch versteht. Ab da verfolgt er mich mit seinen Blicken, wenn ich zu den Mahlzeiten gehe. Nach der Mahlzeit stellt er sich in mein Blickfeld, um eine zu rauchen. Auffallend oft hält er sich vor meinem Balkon auf. Als ich ihm irgendwann begegne, versucht er mich mit “Gs, gs, gs!” auf sich aufmerksam zu machen. Ich bin 61. Hört das denn nie auf mit der Anmache?

Begegnung
Ich laufe durch Manavgat. Ein einheimischer Mann und eine ältere Frau kommen mir entgegen. Ich sehe sie, mehr nicht. Wir gehen aneinander vorbei. Dann höre ich hinter mir: “Hallo, hallo!” Ich drehe mich um, der Mann kommt auf mich zu und sagt auf Deutsch: “Wir kennen uns. Ich war letztes Jahr im Sommer mit meiner Frau und meinem Sohn auf Ihrer Familienfreizeit im Odenwald.” Jetzt fällt bei mir der Groschen. “Manavgat ist meine Heimatstadt und ich besuche gerade meine Mutter.” Ja klar, ich erinnere mich an die Familie und freue mich über die Begegnung. Wir plaudern noch ein wenig. Wie klein die Welt doch ist!

Türkische Riviera
Ich bin in der Rezeption in meinem Hotel in Side. Der junge Reiseleiter kommt und begrüßt mich freundlich. Wir plaudern und im Laufe des Gesprächs erzählt er mir, dass Side in deutscher Hand sei und Alanya in russischer Hand. Ich stutze. Und frage mich: Und welche Küstenorte gehören den Türken?

Anspruch
Auch wenn ich für diese Reise bezahlt habe, sehe ich daraus keinen besonderen Anspruch für meinen Aufenthalt hier erwachsen. Ich freue mich über das Wetter, die Freundlichkeit der Menschen und die wunderbaren Vorspeisen und vielfältigen Gerichte. Auch wenn ich mit meiner Halbtagstätigkeit mehr verdiene als jede Vollzeitarbeitskraft im Hotel und aus einem vergleichsweise reichen Land komme, leiten sich für mich daraus keine besonderen “touristischen Rechte” ab. Ich bin hier Gast, genieße das, was mir geboten wird und bin dankbar dafür.

Evelyn
Ich lerne Evelyn kennen, eine Deutsche, die seit 20 Jahren in der Türkei lebt und fließend Türkisch spricht. Sie zeigt mir Geschäfte, an denen Touristen wohl eher vorbeigehen und übersetzt bei meinem Einkauf. Sie fährt mit mir zu einem Restaurant in einem Orangenhain außerhalb der Touristenpfade, wo wir einen herrlichen Nachmittag verbringen. Ich schätze ihre Erfahrungen und ihren Blick, der den meinen öffnet und erweitert. Ich lerne durch sie etwas von der Türkei kennen, wie eine Einheimische sie sieht.

Vorteile? Nachteile?
Ich verbrauche Wasser und Lebensmittel. Ich hinterlasse meinen Müll und Schmutzwasser. Beides zusätzlich zu dem, was die einheimische Bevölkerung verbraucht und hinterlässt. Bringe ich mehr Vorteile ins Land, durch das Geld, oder doch mehr Nachteile? Oder gleicht sich das aus?

Russland
Er erzählt mir, dass er eine Russin geheiratet und auch eine Zeit lang in Russland gelebt habe. In einigen Wochen werde er mit ihr dorthin zurückgehen. Das Leben in der Türkei sei sehr schwer, sagt er, die steigende Inflation und die Politik Erdogans. Nein, es mache keinen Spaß mehr, in der Türkei zu leben. Und Putin, frage ich nach? – Putin? Der sei nicht so schlimm wie Erdogan, antwortet er. Ich wundere mich. Warum glauben wir so oft, woanders sei es besser als da, wo wir sind?

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Türkei 2

Kommen und Gehen
Am zweiten Tag habe ich mehr oder weniger den Überblick, wer außer mir zu Gast im Hotel ist und wer welches Zimmer bewohnt. In der Nacht höre ich Geräusche, die ich zuerst nicht einordnen kann. Dann wird mir klar, dass es Rollkoffer auf den Steinplatten sind. Jemand reist ab oder jemand kommt an. Am nächsten Morgen fehlen Gesichter beim Frühstück und neue Menschen sehen sich suchend nach dem Restaurant um, so wie ich am ersten Tag. Die beiden Männer aus England aus dem Zimmer unter mir hört man über den ganzen Hof. Sie grüßen alle, die vorbeigehen mit lauter, durchdringender Stimme. Drei Tage später ist Stille. Sie sind abgereist. Das junge Paar, im Zimmer an der Ecke, immer mit einer Zigarette im Mund, er mit einem unzufriedenen Gesichtsausdruck, ist irgendwann auch weg. Kein Zigarettenrauch zieht mehr in mein Zimmer. Bei dem Ehepaar gegenüber höre ich abends Würfel klackern. Ihr abendliches Spielen werde ich hören, solange ich da bin. An meinem ersten Tag gab es eine Horde von Kindern, die im Pool planschten und die treppauf, treppab auf dem ganzen Hotelgelände Versteck spielten. Irgendwann höre ich sie nicht mehr. Es ist ein ständiges Kommen und Gehen. Nur das Personal, das bleibt. Wie viele Gesichter sehen sie wohl im Laufe eines Monats, ganz zu schweigen von einem ganzen Jahr?

Erholung
Ein Hotelpalast neben dem anderen säumt die Küste, einer größer und prächtiger als der andere. Der Strand ist gespickt mit Liegestühlen soweit das Auge reicht. Die Altstadt ist voller Restaurants und Geschäfte, vor denen allen jemand steht und einen zum Eintreten, zum Angucken, zum Essen, zum Buchen eines Ausflugs hereinbittet. Das Frühstück und das Abendessen im Hotel wird mit Musik aus Lautsprechern untermalt, so dass ich kaum die Vögel hören kann. So habe ich mir meinen Urlaub und Entspannung eigentlich nicht vorgestellt.

Side
Die Altstadt von Side ist auf den Ruinen, in den Ruinen und mit den Ruinen einer alten römischen Festung gebaut. Der Eingang zur Altstadt wird von einem beeindruckenden Säulengang gesäumt und man fährt auf ein imposantes Amphitheater zu. Überall stehen riesige Steinquader. Im Ort finden sich auf kleinen Plätzen und sogar in Geschäften zahllose in den Boden eingelassene Glasplatten, unter denen Überreste aus jener Zeit zu sehen sind. Auf freien Grundstücken stehen Mauerreste. Im Hotel ist ein Bogendurchgang, der aus dieser Zeit stammen könnte, und auch die Mauerreste auf dem Gelände, die das Gründstück an manchen Stellen abgrenzen, wirken so. Oder wurden sie dort hinversetzt? Und wie ist der Übergang aus der Römerzeit wohl vonstatten gegangen? Wurde die Festung einfach so verlassen? Oder gab es ein Erdbeben? Stand sie lange leer? Was haben die gemacht, die dann kamen? Haben sie sich in dem eingerichtet, was sie vorfanden? Haben sie die Steine genutzt und so gesetzt, wie sie es brauchten? Wer hat dann entschieden, das zu konservieren, was noch da ist? Heute ist alt und neu fest miteinander verwoben und kaum voneinander zu trennen. Was für eine Wirkung das Alte wohl auf das heutige Leben hat?

In der römischen Kaiserzeit war Side eine bedeutende Hafenstadt und einer der wichtigsten Handelsplätze in Kleinasien. Im 10. Jahrhundert wurde die Stadt jedoch aus unbekannten Gründen verlassen und die Gebäude begannen zu verfallen. Ein Erdbeben im 12. Jahrhundert zerstörte viele der noch verbliebenen Bauwerke endgültig.
1895 gründeten türkische Flüchtlinge aus Kreta auf den Ruinen der südlichen Hälfte das Fischerdorf Selimiye, dass in den 1970er Jahren als Badeort entdeckt wurde und seitdem, wie viele Orte an der Türkischen Riviera, einen andauernden touristischen Aufschwung erlebt.
(www.reisewuetig.com)

Kleiderordnung
Die Türkei ist ein muslimisches Land, wenn auch vielleicht liberaler als manch anderes muslimische Land. Ich sehe Türkinnen mit Kopftuch und ohne Kopftuch, Türken in langen Hosen und langärmeligen Hemden, junge Türken in Shorts. Und ich sehe Touristen, Männer mit freiem Oberkörper, ihren von der Sonne krebsroten Bauch vor sich hertragend, ich sehe Touristinnen in mehr als engen Shorts. Ist das, was ich trage passend? Die Frage beschäftigt mich immer wieder.

Katzen 1
Ich sitze ganz früh morgens auf einem Stuhl auf der Terrasse in einem noch geschlossenen Café und genieße die Menschenleere, die Stille und das ruhige Meer. Eine Katze kommt und springt unaufgefordert auf meinen Schoß. Eine andere Katze sitzt etwas weiter auf einem anderen Stuhl. Sie scheint wohl ängstlicher zu sein. Nach einer Weile springt die Katze von meinem Schoß herunter und wendet sich etwas anderem zu. Ich schaue ihr nach und in dem Moment springt die Katze, die auf dem Stuhl saß auf meinen Schoß. Ich genieße die Zuwendung der Katzen sehr.

Katzen 2
Nachts schleicht eine Katze über meinen Zimmerbalkon und durch die offene Verandatür zu mir ins Bett. Sie kuschelt sich ohne viel Aufhebens an mich an. Als ich mich zu ihr drehe, bleibt sie seelenruhig liegen, auch als ich sie zu streicheln anfange, murrt sie kein bisschen. Ja, sie dreht sich sogar auf den Rücken und lässt mich ihren Bauch streicheln. Ich bin verblüfft über dieses Vertrauen. Vielleicht habe ich sie die Tage schon mal gestreichelt? Dennoch, dass sie mir in der ersten Nacht so vertrauensvoll den Bauch zeigt, das verblüfft mich wirklich. Bei so vielen Menschen, die hier kommen und gehen – woher weiß sie, dass sie bei mir in guten Händen ist?

Katzen 3
Ich liebe Katzen. Ich liebe sie wirklich sehr. Ich habe ja auch selbst eine zu Hause. Ich bin beglückt, im Hotel auf so viele freundliche Katzen zu treffen, eine schöner als die andere, und die allermeisten lassen sich sehr gerne streicheln. Irgendwann fange ich an, ihnen Futter zu geben. Dann entdecke ich, dass nicht nur im Hotel, sondern überall Katzen leben, auf der Strandpromenade, in den Ruinenfeldern, überall streunen Katzen herum. Auf Spaziergänge nehme ich nun auch Futter mit und gebe es den Tieren, die mir über den Weg laufen. Eines Abends begegne ich einer jungen einäugigen Katze und gebe ihr etwas. Aus allen Ecken beginnen weitere hungrige Katzen herbeizuströmen. Ich zähle über dreißig Artgenossen, die sich auf das Futter stürzen. Jetzt wird es mir doch etwas zu viel mit den Katzen.

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Türkei 1

Erste Begegnung
Ich lande mitten in der Nacht in einem mir fremden Land. In den Unterlagen, die ich bekommen habe, steht genau, wo ich den Transferbus zum Hotel finde. Ein freundlicher junger Mann nimmt mich in Empfang. Er spricht kein Deutsch. Er nimmt das Übersetzungsprogramm auf seinem Handy zu Hilfe. Während wir auf weitere Gäste warten, tauschen wir uns angeregt aus. Wir lachen über die Missverständnisse, die trotz des Programms entstehen. Als wir nach einer Stunde Fahrt durch schlafende Ortschaften am Hotel ankommen, bedankt er sich herzlich. Was für eine freundliche erste Begegnung.

Tag eins
Der erste Tag in diesem mir fremden Land nimmt mich mit Sonnenschein in Empfang, mit Ruinen aus der Römerzeit, mit einem mir fremden Blütenduft. Später erfahre ich, dass es die Orangenblüten sind, die so duften. Gelb strahlen die Früchte am Zitronenbaum vor meinem Balkon mich an und es gibt viele freundliche Katzen. Ich sitze auf meinem Zimmerbalkon und lasse mich einlullen von dem Stimmengewirr der türkischen Zimmerfrauen, die sich über den Hof hinweg immer mal wieder etwas zurufen, von deutschen und englischen Wortfetzen der anderen Gäste, von der noch milden Märzsonne, die mich wärmt.

Renovierungsstau
In den Bewertungen im Internet stehen kritische Kommentare zum Zustand des Hotels. Das hat mich nicht abgeschreckt. Als ich dann vor Ort im Hotel bin, bestätigt sich diese Bewertung. Notdürftig sind Fugen in der Dusche abgedichtet, in den Ecken sind dunkle Flecken. Schimmel? Der Spiegel ist an einem Rand entlang blind und das Waschbecken ist nicht waagerecht montiert. Auf der Veranda, die zu den Zimmern führt, liegt eine abenteuerliche Konstruktion von Rohren und Leitungen. Und das alles stört mich nicht. Die Betten sind sauber bezogen, es gibt ein reichhaltiges und leckeres Frühstück und die Sonne scheint. Das ist alles, was ich brauche. Von allem anderen lasse ich mich nicht irritieren. Mehr zählt für mich nicht.

Tee
Auf dem Tresen stehen kleine Gläser für den Türkischen Tee und große Gläser für Wasser. Drei Kannen mit Teesud stehen bereit, der dann mit heißem Wasser aufgefüllt wird. Am ersten Tag gehe ich vier-, fünfmal Tee nachfüllen. Dann sehe ich jemanden eines der großen Gläser nehmen und Tee einfüllen. Das ist eine gute Idee, denke ich und mache das nach. In das Wasserglas geht vielleicht der Inhalt von drei bis vier kleinen Teegläsern, so spare ich mir das häufige Nachfüllen. An diesem Tag ist der Tee vor dem Ende der Frühstückszeit leer. Ich halte den Tee im Wasserglas für eine gute Idee, die Küche ärgert sich vielleicht, dass nicht die Teegläser verwendet wurden und der Tee vorzeitig leer ist.

Der Muezzin
Der Ruf des Muezzin hallt aus mehreren Lautsprechern durch die Nacht. Ich lausche dem Gesang und verstehe nicht mehr als ‘Allah’. Der Ausdruck dieser religiösen Praxis ist mir, wenn auch nicht unbekannt, so doch fremd. Erahne ich vielleicht in seinem Gesang die Leidenschaft, sich mit etwas Höherem als uns selbst verbinden zu wollen? Ruft er in der Form, die er erlernt hat, in der kulturellen Ausprägung, in die er hineingewachsen ist, den einen Gott an, den er Allah nennt und den ich in meiner kulturellen Prägung, in die ich hineingeboren bin, ‘Gott’ nenne? Und meinen wir vielleicht die eine selbe göttliche Kraft, die uns alle verbindet und größer ist als alles Menschliche?

Pauschalurlaub
Ich habe einen Pauschalurlaub gebucht mit Flug, Hotel und Halbpension. Als ich im Hotel ankomme, wird mir ein Safe für 10 Euro Miete pro Woche angeboten. WLAN kostet ebenfalls 10 Euro die Woche. Na gut, das wusste ich, dass WLAN nicht im Paket enthalten ist. Die Getränke zum Frühstück sind frei, Orangensaft kostet jedoch 3 Euro. Die Getränke zum Abendbrot sind nicht frei. Das Wasser aus dem Hahn solle man besser nicht trinken, wird mir geraten, ich solle lieber Wasser im Geschäft kaufen. Die Handtücher aus dem Zimmer sollen nicht am Strand oder am Pool benutzt werden, steht auf einer Information im Badezimmer. Strandhandtücher werden an der Rezeption für 3 Euro ausgeliehen.

Langeweile?
“Langweilen Sie sich denn nicht so alleine im Urlaub?”, werde ich gefragt. Mich langweilen? Nein. Endlich kann ich abschalten, muss auf nichts reagieren, keine Rede und Antwort stehen, keine Entscheidungen treffen, nicht überlegen, was noch alles anliegt, keine Mails beantworten. Und ich kann es sogar genießen, im Hotel kein WLAN zu haben. Endlich kann ich loslassen. Wieder ganz auf mich hören. Am Tag gibt es nur zwei Eckpunkte: Frühstück gibt es zwischen 8 und 10 Uhr und das Abendessen zwischen 18 und 20 Uhr. Den Rest der Zeit habe ich ganz für mich. Ich kann dem nachgehen, was in mir lebendig ist. Ich kann dem nachgehen, was mich ruft. Ich kann genau horchen und spüren, ob ich jetzt Ruhe brauche und sie mir einfach so nehmen. Ich habe lange Monate funktioniert. Jetzt kann ich meiner Seele wieder allen Raum geben, die sie braucht.

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Alt werden? Alt sein?

Wann habe ich angefangen über das Alter nachzudenken? Mit 50 war ich noch mitten drin im Leben, voller Energie. Gegen Ende der 50er merkte ich schon, dass meine Kräfte nachließen, besonders bei der Gartenarbeit, aber ich schrieb das noch nicht meinem Alter zu. Dann wurde ich 60. Ich hörte ein ums andere Mal: Das Alter ist doch nur eine Zahl. Oder: Man ist so alt wie man sich fühlt. Die Sechs vorne dran machte schon einen Unterschied. Mit 61 zog ich um und merkte jetzt ganz deutlich, dass meine körperlichen Kräfte abgenommen hatten und ich lange brauchte, um mich von der Anstrengung zu erholen. Eine Nachbarin, ein junges Mädchen, die meinen Einzug sah, sagte zu ihrer Begleiterin: “Da zieht eine Oma ein.” Ich stutzte. Wurde ich etwa als Oma wahrgenommen? Leute schauten überrascht, wenn ich sagte, ich sei 61, hatten sie mich doch jünger eingeschätzt. Ich trage einfach weiterhin Jeans und eine Kurzhaarfrisur und färbe meine Haare nicht. Es ist nicht mein Anliegen, jünger zu wirken, ich versuche aber auch nicht, mich “meinem Alter entsprechend” zu verhalten. Ich fühle mich offener und vielleicht noch interessierter als in jüngeren Jahren und obendrein gelassener und geduldiger. Wann würde ich mich alt fühlen? Was bedeutete das, “alt zu werden” oder “alt zu sein”? Ich hatte mit Sicherheit die längste Zeit meines Lebens hinter mir. Und wie viel Zeit würde mir noch bleiben? Das fragte ich mich durchaus das ein oder andere Mal.

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Singen

Am Anfang sind es nur schwarze Punkte auf horizontalen Linien auf einem Blatt Papier, manche mit kurzen vertikalen Strichen daran, andere ohne solche Striche. Es ist einfach nur ein Blatt mit vielen schwarzen Punkten. Mehr nicht. Als der Chorleiter die Melodie auf dem Klavier anspielt, höre ich zum ersten Mal, was sich hinter den Punkten verbirgt. Da haucht er zum ersten Mal Leben in die schwarzen Punkte. Wir beginnen das Stück zu singen und es füllt sich mit Leben. Die Melodie mit dem Text zusammen öffnet etwas in mir, da ist ein innerer Raum und etwas in mir kommt ins Schwingen. Dort verlasse ich mein weltliches ICH und trete in eine andere Dimension ein, eine Dimension, in der es mir gelingt, für einen Moment mit etwas Größerem zu verschmelzen. Ich gehe ganz in der Melodie auf und kehre am Ende des Liedes gelöst und aufgetankt wieder zurück.

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Frühstück

Es gibt einen Pädagogischen Tag in der Schule. Eines der drei Themen an diesem Tag ist Ernährung. Wir werden gefragt, ob wir frühstücken und wenn ja was. Sofort beginnt ein hitziges Gespräch: “Also, ich gehe ohne Frühstück aus dem Haus.” – “Nein, das geht ja gar nicht, ohne Frühstück läuft bei mir nichts”, widerspricht eine andere. “Oh nee, Süßes zum Frühstück. Ich brauche was Herzhaftes morgens”, kontert eine dritte. Eine weitere Person reagiert lautstark: “Nein, weder Süßes noch Herzhaftes. Ich brauche morgens mein selbstgemachtes Müsli aus geschrotetem Korn!” Und ich denke: Ach, das ist ja interessant, so macht Petra das also und Annkatrin isst gern Herzhaftes morgens und Susanne macht ihr eigenes Müsli.
Etliche Tage später erzählt mir Franka von ihrem Chorauftritt, den sie am Abend haben würde. Seit einem Jahr probten sie für diesen Auftritt, sagt sie. Am Tag zuvor hätten sie vier Stunden Generalprobe mit Stellprobe gehabt. “Oh, nein!”, rutscht es mir heraus. “Das wäre ja nichts für mich. Das ist ja viel zu stressig.” Also verfalle auch ich immer mal wieder in dieses Widerspruchsmuster? Wir lernen ein Leben lang dazu, auch ich.

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Urlaubsplanung

Ich erkläre in jedem meiner GFK-Einführungskurse, dass wenn ich mich über ein Thema aufrege, die Ursache nicht bei der Person liegt, die etwas gesagt oder getan hat, sondern bei mir.
Ich erzähle einer Freundin, dass ich Ostern wegfahren will. Sie fragt, ob ich mir nicht vorstellen könne, dass sie mitkommt. Ich überlege erst und stimme dann zu. Da sie gerade mehr Zeit hat, bitte ich sie, doch nach einem Pauschalangebot zu schauen für das Land und zu den Eckdaten, auf die wir uns jetzt geeinigt haben. Eine Woche später habe ich noch nichts von ihr gehört und hake bei ihr nach. Ja, sie habe sich einiges angeschaut und schon einiges gefunden, aber noch nichts gebucht. Ich warte eine weitere Woche ab, bis ich mich wieder melde. “Lass uns treffen und die Angebote zusammen anschauen”, sagt sie. Ja, gut. Wir machen einen Termin aus und finden recht schnell etwas, das uns beiden gefällt. Als sie weiterklickt und der Button ‘Angebot buchen’ erscheint, wird sie zögerlich. Und was ist, wenn etwas dazwischen kommt? Sollte sie nicht eine Rücktrittsversicherung für uns abschließen? Sie fängt an, die Seiten nach Rücktrittsoptionen zu durchsuchen. Schließlich bucht sie gar nichts und möchte noch etwas Bedenkzeit. Ich verstehe nicht. Sie hatte so lange Zeit, sich mit dieser Reise auseinanderzusetzen und es sich zu überlegen, und dann im letzten Moment vor der Buchung zögert sie? Drei Tage später springt sie ab.
Ich habe mich sehr darüber geärgert. Sie hat etwas nicht getan und nicht gebucht, obwohl es ihre Idee war mitzukommen. Jetzt kommt es darauf an: Kann ich, wie ich es in meinen Seminaren unterrichte, die Ursache für meinen Ärger bei mir selbst sehen und der Schuldfalle entgehen?

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Erklärungen

Ich erzähle Georg, dass es bei mir ganz in der Nähe eine Fußgängerbrücke gibt, die erst unter der Autobahn hindurch und dann über die Saar führt. Wenn man aus der Unterführung herauskommt, läuft man durch eine Abgaswolke, bevor man die Saar überquert. Er beginnt mir zu erklären, warum sich die Abgase da stauen. Ich will doch nur davon erzählen. Nach dem Warum hatte ich nicht gefragt.
Peter erzählt mir, dass er sieben Wochen zuckerfrei leben will und wie schwer das sei, bei all den Gummibärchen und anderen Süßigkeiten, die neben der Kaffeemaschine lägen. Ich erzähle ihm, dass ich Toastbrot gekauft und auf der Inhaltsliste entdeckt hätte, dass da auch Zucker drin sei. Ja, sagt er und erklärt mir im Detail, warum im Toastbrot Zucker ist. Ich wollte eigentlich nur davon berichten, was ich entdeckt hatte. Nach dem Warum hatte ich nicht gefragt.
Jan erzählt ich, dass ich in einem Jazzkonzert war, mit Piano, Schlagzeug und Sitar und wie toll mir das gefallen hat. “Es war ein besonderes Hörerlebnis mit der Sitar”, sage ich. Und Jan beginnt aufzuzählen, welche besonderen Instrumente im Jazz schon mitgespielt hätten und dass das gar nicht so außergewöhnlich sei. Ich wollte nur von dem Konzert berichten. Mehr nicht.
Warum wollen diese Männer denn nur alles erklären, frage ich mich.

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Herz ist Trumpf

Spielerisch ziehen wir unsere Trümpfe: Sie sei jünger, sagt sie. Ja, das stimmt. Sie wohne mietfrei. Ja, ich wohne zur Miete aber ich kann gut kochen. Nein, kochen könne sie nicht. Ein Punkt für mich. Aber sie verdiene mehr Geld. Das stimmt. Da kann ich keinen Trumpf entgegensetzen. Sie besitze zwei Autos. Ich ziehe schmunzelnd meine Trümpfe: Ich besitze zwei Fahrräder. Eins ihrer Autos sei ein Porsche. Eins meiner Räder ist ein E-Bike, hake ich lachend ein. Warum nur, frage ich mich, schaut sie trotz allem, was sie hat, so unzufrieden aus.

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Stau

Ich fahre abends auf der Autobahn zurück in die Stadt. Als ich näherkomme, überlege ich kurz, eine Ausfahrt früher zu nehmen und durch die Stadt zu fahren. Ich beachte den Impuls nicht weiter und bleibe auf der Autobahn. Wenige Kilometer weiter stehe ich im Stau. Im Radio höre ich die Meldung, dass wegen des Fußballspiels die Abfahrt zum Stadion gesperrt sei und es deswegen zum Stau käme. Warum nur bin ich meiner Eingebung, früher abzufahren, nicht gefolgt? Ich nehme mir vor, Eingebungen künftig ernster zu nehmen.

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