Alle Jahre wieder

Alle Jahre wieder geht es ab Ende November los. Straßen, Vorgärten und Fenster werden dekoriert und Weihnachtsmärkte aufgebaut. Die Stimmung steigt in Vorfreude auf das Fest. Die Geschäfte füllen sich mit Menschen auf der Suche nach Geschenken. Trauben von Menschen sammeln sich um Glühweinstände. Weihnachtslieder klingen aus allen Lautsprechern. Weihnachtsgebäck liegt schon seit September in den Supermärkten aus. Und dann gehen viele Gespräche darum, wer wie mit wem feiert. Kommen die Kinder, die Enkel oder feiern sie bei den Schwiegereltern oder fliegen sie dieses Jahr wieder in den Süden? Was wird es zu essen geben. Wie jedes Jahr? Und was gibt es für die Vegetarier und die Veganer und was kriegen die mit den anderen Unverträglichkeiten. Oder bucht man lieber in einem Restaurant? Mit alldem muss ich mich nicht auseinandersetzen. Ich muss nichts planen, keine Termine koordinieren und denke ‚Gottseidank‘. Und dann gibt es da auch die andere Seite. Ich habe keine familiäre Anbindung, keine Eltern mehr, keine Kinder, keine Enkel. Ich habe kein familiäres Gefüge, in das ich selbstverständlich hineingehöre. Da ist niemand, der anruft und fragt: „Wie machen wir es denn dieses Jahr?“ Das erfüllt mich mit einem Gefühl von Wehmut und Trauer. Aber nur so lange, bis ich wieder eine Diskussion über den Weihnachtsbaumkauf mithöre.

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Der Schatten

Ich gehe am späten Nachmittag in den Supermarkt. Es ist schon dunkel. Ich laufe einen schlecht beleuchteten Fußweg entlang, der hinter den Häusern vorbei führt. Vor mir im Gebüsch sehe ich einen Schatten, der sich bewegt. Mein erster Gedanke ist: Ein Hund. Aber Hunde laufen doch meistens nicht frei herum, oder? Dann steigt mein Puls: Es werden doch keine Wildschweine sein? Die kommen nachts aus dem nahegelegenen Wald und suchen in Gärten rund um die Häuser herum nach Futter. Ich drehe sofort um. Lieber gehe ich einen Umweg als einem Wildschwein zu begegnen! Erstaunlich ruhig ist das Tier, sei es nun Hund oder Wildschwein, denke ich. Während ich zurückgehe, drehe ich mich noch einmal um. Der Schatten folgt mir. Und dann macht es Klick: Es ist mein eigener Schatten, der mich verfolgt hat und vor dem ich so erschrocken bin.

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Recht haben

Ich plaudere mit einer Hausbewohnerin über dies und das. Ob ich überhaupt wisse, in was für einem Haus ich wohne, fragt sie mich. Ja, in einem ehemaligen Beamtenwohnhaus, sage ich. Nein, kontert sie, das war mal eine Kaserne von den Franzosen. Und die Häuser dahinter, da waren die Beamten drin. Ach, sage ich überrascht, im Internet habe ich das überall genau anders herum gelesen. Nein, nein, sagt sie, das hier war die Kaserne und die Beamten haben in den Häusern da drüben gewohnt. Ich bin mir sicher, dass sie falsch liegt. Ich schweige. Was würde ich davon haben, wenn ich Recht hätte? Was würde ich dadurch gewinnen? Nichts. Ich lasse es einfach so stehen und wechsle das Thema.

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Die Uhr

Zwei Mal schon habe ich meine Armbanduhr versehentlich in der Wäsche mitgewaschen. Sie lief weiterhin pünktlich, im Glas innen hatte sich jedoch durch das Schleudern ein kleiner Splitter gelöst. Dieser kleine Splitter verkeilte sich ab und zu zwischen den Zeigern. Die Uhr blieb stehen. Oder war vielleicht nur die Batterie leer? Ich brachte sie zur Uhrmacherin bei Karstadt, wo ich sie gekauft hatte. An der Batterie lag es nicht. Ob das Glas ersetzt werden könne? Die Uhrmacherin winkte ab: Ja schon, aber … Ob ich mich nicht vielleicht nach einer neuen umschauen wolle. Eine neue, in etwa so wie meine, koste um die 100 Euro. Nein, das wollte ich nicht. Aber ohne Uhr fühlte ich mich besonders in der Schule orientierungslos. Ich ging in ein Uhrmachergeschäft in einem anderen Ort und fragte da nach. Ja, er würde das Glas ersetzen, das würde 28 Euro kosten. Es würde nur dauern. Er müsse das Glas erst bestellen. Dazu war ich gerne bereit! Aber was machte ich bis dahin ohne Armbanduhr? Ich hatte keine andere und das Handy im Unterricht war einfach zu unpraktisch. Spontan kam mir die Idee, ihn zu fragen, ob er nicht zufällig eine Ersatzarmbanduhr für mich habe, um die Wartezeit zu überbrücken. Ich rechnete eher mit einem Nein, aber zu meiner freudigen Überraschung sagte er, ja, habe er. Und reichte mir eine funktionierende Armbanduhr, die ich bis zur Reparatur meiner eigenen ausleihen durfte. Ich war so erleichtert, im Unterricht mit einem Blick aufs Handgelenk wieder den Überblick zu haben, ob die Zeit noch für eine Übung reichte oder nicht.

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Staub

In meiner alten Wohnung habe ich nach Bedarf geputzt. Wenn ich dachte, es wäre dran, habe ich zu Staubsauger und Staublappen gegriffen, und das war unregelmäßig. So wie ich halt Zeit und Lust hatte und wenn der Schmutz anfing mich zu stören. Ich wohnte am Waldrand und die Luft war recht sauber, Dreck brachten nur ich und meine Katze von draußen vom Wald mit herein. In der neuen Wohnung hatte ich noch keine Erfahrung und wartete erstmal ab, um zu schauen, wann der Schmutz in der Wohnung anfangen würde, mich zu stören. Nach vielleicht einer Woche nahm ich eine feine Schicht auf dem offenen Bücherregal wahr. Noch störte mich das nicht. Aber nach wenigen weiteren Tagen hatte sich die Staubschicht verdichtet und es hinterließ eine deutliche Spur, wenn ich mit dem Finger drüberstrich. Nun war es also an der Zeit, Staub zu wischen und zu saugen. Die Luft war hier in der Stadt doch wesentlich verschmutzter als an meinem vorherigen Wohnort! Aber die Partikel legten sich ja nicht nur auf Regalen, Möbeln und Böden ab. Sie legten sich auch auf dem Brot ab, das auf dem Tisch lag und das ich aß, und sie legten sich auch in meinen Lungen ab. Nur konnte ich dort nicht staubwischen. Wie es dort wohl aussah?

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Rezepte

Ich koche Kürbisrisotto. Und dabei erinnere ich mich jedes Mal an Maria.  Ich war in Wien auf einer Fortbildung. Anschließend blieb ich noch ein paar Tage, um mir die Stadt anzusehen. Maria, die auch bei der Fortbildung gewesen war, lud mich zu sich zum Essen ein. Sie kochte einen Kürbisrisotto. Das Rezept habe ich ihr abgeguckt und in mein Repertoire übernommen. Ich denke immer an sie, wenn ich das koche. Von meiner Patentante habe ich „im Mund schmelzende Rinderrouladen“ übernommen. Auch wenn ich nur noch sehr selten Fleisch esse, lebt das Rezept in mir weiter. Von Alina habe ich den Hefezopf gelernt und einen super leckeren schwäbischen Kartoffelsalat. Von Sam habe ich einen Rotkohl-Grünkohl-Salat übernommen, von Eileen Käse-Zwiebel-Scones. Von meiner Ex-Schwiegermutter habe ich Indisch kochen gelernt. Von einer ehemaligen Kommilitonin habe ich einen Champignon-Lauch-Salat übernommen. So haben mich all diese unterschiedlichen Menschen zu verschiedenen Zeitpunkten meines Lebens bereichert und ich bin dankbar dafür. Auch wenn sie es nicht wissen, und auch wenn ich den Kontakt zu ihnen verloren habe oder sie schon verstorben sind.

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Di-Mi-Do

Zwei Jahre lang habe ich dienstags, mittwochs und donnerstags gearbeitet. Montags war mein „Bürotag“, an dem ich mir die Zeit nahm, Mails zu beantworten, zu schreiben, mein Mailpostfach aufzuräumen, den Unterricht vorzubereiten und mir zu überlegen, was ich di-mi-do essen wollte und dafür einzukaufen. Die Sonntage waren immer völlig unbelastet. Die neue Woche warf keinen Schatten voraus. Am Montag konnte ich mich dann langsam damit anfreunden, mich am nächsten Tag in die Schulmühle zu begeben.
Jetzt musste ich meinen Stundenplan umstellen und montags, dienstags und mittwochs unterrichten. Und sofort fühlte sich der Sonntag anders an. Schon morgens merkte ich, wie sich der Tag verengte und ich nicht mehr so entspannt war. Und schließlich musste ich mich hinsetzen und den Unterricht vorbereiten, mein Schulessen richten und das Essen für den Montag. Der Sonntag hatte seine Unschuld verloren.

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Einwutzen

Ich besitze meine Kleider lange und kaufe nur selten etwas Neues. Ich kaufe nur, wenn ich wirklich ein Kleidungsstück ersetzen muss oder mir etwas besonders gut gefällt. Ich gehe selten in die Stadt in Geschäfte, um einfach nur mal so zu schauen. Mode interessiert mich nicht. Für die Schule ist es mir wichtig, mich gepflegt und sauber und auch einigermaßen abwechslungsreich zu kleiden. Im Garten trage ich Arbeitskleider. Da brauche ich keine Rücksicht zu nehmen. Ich wische meine erdigen Hände an der Hose ab, Obstflecken beim Beerenernten, ich knie in den Beeten und trage abgeschnittene Äste und volle Gartensäcke umher. Die Kleider sind anschließend dreckig, aber sie spiegeln meine Arbeit wider. Ich fühle mich richtig wohl in ihnen.

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Absicht

Mit welcher Absicht gehe ich in den Tag? Habe ich mich das schon mal gefragt? Ich fahre morgens ca. 25 Min in die Schule. Ich achte auf den Verkehr und lausche dem Radio. Vielleicht gehen mir auch Gedanken zu der einen oder anderen Gruppe durch den Kopf, die ich heute unterrichten werde. Aber mit welcher Absicht oder Energie ich in den Tag gehen möchte, das habe ich mich nur selten gefragt. Ich nehme mir für heute eine spielerische Absicht vor. Im Laufe des Tages erinnere ich mich an meine Absicht. Spielerisch. Der Tag ist wie jeder andere in der Schule, mal laut, mal unruhig, mal entspannt. Aber schon mich an meine Absicht zu erinnern, verändert etwas für mich, es verankert mich und richtet meine Perspektive auf einen zentralen Punkt. Das gibt mir immer wieder Orientierung.

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Ping! Pong!

Ich erzähle, dass wir in Indien einen Currystrauch im Vorgarten hatten und ich mittags einfach ein paar Blätter fürs Mittagessen abzupfen konnte. Er erzählt, dass sie in Österreich einen Aprikosenbaum im Garten hatten und er die Aprikosen direkt vom Baum essen konnte. Die hätten so viel besser geschmeckt als die, die man zu kaufen kriegt.
Ich erzähle, dass Indien eine so fremde Welt für mich war, dass es in den drei Jahren, die ich dort lebte immer wieder etwas Neues zu entdecken gab. Er erzählt, dass für ihn in den zwei Jahren in Österreich viel passiert sei und dann, in den Jahren in Neuenstein, viel mehr als in den Jahren jetzt hier.
Ich erzähle, dass ich in den Pfälzer Wald fahren und wandern und auch Kastanien sammeln werde. Er erzählt, dass er einmal aus Frankreich Kastanien mitgebracht habe, zwei Kilogramm und wie schnell die aufgegessen waren.
Am Ende bin ich ein bisschen enttäuscht und müde. Wir sind am selben Ort und sind uns innerlich gar nicht begegnet.

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