Christine Wanjura

Platz für alle

Aus dem Küchenfenster sehe ich den Parkplatz. 52 Wohnungen hat das Haus, vielleicht steht die ein oder andere leer, vielleicht hat eine Mietpartei kein Auto, vielleicht haben andere zwei. Alle parken ihre Autos nebeneinander, ohne dass die Plätze durch Striche abgeteilt sind, wie man es von Supermarktparkplätzen kennt. Daher stehen wieder alle in ganz unterschiedlichen Abständen zueinander. Die meisten Autos stehen so weit auseinander, dass man nicht nur die Fahrertür bis zum Anschlag öffnen kann, sondern selbst dann noch Abstand zum Nachbarauto hat. Wenn nur zwei Fahrer ihre Autos ein Stück näher zueinander parken würden, hätte noch ein drittes Auto Platz, denke ich. Wenn ich selbst parke, versuche ich genug Abstand zu halten, um noch einigermaßen bequem aussteigen zu können, gleichzeitig aber eng genug, dass noch möglichst viele Fahrzeuge auf dem Platz unterkommen. Warum nur, frage ich mich immer wieder, parken die Leute nur so weit auseinander? Denken sie beim Einparken nicht daran oder haben sie Angst, dass ihr Auto Schrammen abbekommt? Ich verstehe es nicht.

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Spaziergang mit Katze

Wenn ich abends nach Hause komme und die Wohnungstür öffne, zwängt sich meine Katze an mir vorbei und will raus. Warum nicht, denke ich und öffne ihr auch noch die Haustür. Draußen bleibt sie stehen und dreht sich nach mir um, als warte sie auf mich. Ich gehe also ein Paar Schritte auf sie zu. Sie läuft voraus und ich hinterher, dann bleibt sie stehen und ich gehe voraus und sie läuft mir hinterher. Immer wieder bleibt sie stehen und schließt dann wieder zu mir auf. Sie läuft nicht wie ein Hund auf dem Bürgersteig neben mir her, sondern sucht immer die Deckung einer Hecke, an der sie dicht entlangläuft oder kürzt den Weg durch einen Vorgarten ab. Wenn sie einen Hund wittert, der abends noch von Herrchen oder Frauchen Gassi geführt wird, verschwindet sie plötzlich und ist nicht mehr zu sehen. Erst ein paar Meter weiter taucht sie aus irgendeinem Schatten neben mir auf. Sie hat anscheinend immer im Blick, wo ich gerade bin. So drehen wir abends im Dunkeln die ein oder andere Runde ums Karree.

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Absage

Ich bin mit Florin um 10 Uhr verabredet. Es will bei mir vorbeikommen und dann wollen wir zusammen einen Kaffee trinken gehen. Um 10 Uhr bin ich bereit. Florin kommt mit dem Bus und der kommt ja nicht auf die Minute passend an. Ich warte. Es wird 10.10 Uhr. Ich wundere mich. Warum er sich wohl verspätet, frage ich mich und werde doch allmählich unruhig. Um 10.20 Uhr rufe ich ihn an. Er geht ans Telefon. Oh, sagt er, ach du Schreck, das habe ich ja total vergessen. Zuerst wellt Ärger in mir auf. Als wir uns vor ca. 10 Tagen verabredet hatten, sagte er, er trage den Termin sofort in seinen Kalender ein. Denn das ist jetzt schon das zweite Mal, dass er eine Verabredung verschwitzt hat. Na prima, ich bin ihm anscheinend einfach nicht so wichtig, denke ich. Ich bin frustriert und enttäuscht. Dann schießt mir durch den Kopf: Oh gut, dann kann ich gleich zum Wertstoffhof fahren. Florin entschuldigt sich abermals und versichert mir, wie unangenehm ihm das sei. Und ein neuer Gedanke taucht in mir auf: Florin ist über 70. Vielleicht hat er es wirklich einfach nur vergessen. Bei diesem Gedanken belasse ich es schließlich.

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Vorfreude

Kalte und nasstrübe Tage wechselten sich ab. Seit Monaten war ich immer nur kurz im Garten gewesen, um den Komposteimer aus der Küche zu leeren. Der Garten lag im tiefen Winterschlaf. Es war ungemütlich, weil es kalt oder nass war und das lud einfach nicht dazu ein, dort länger zu verweilen. Und dann, letzte Woche, war der erste Tag, der nicht mehr ganz so kalt und sonnig und hell war. Das Wetter rief mich regelrecht hinaus und ich fuhr in den Garten. Ohne zu zögern fing ich an, den Apfelbaum zu schneiden und die Hecken. Ich bestaunte die ersten Tulpenblätter, die sich aus dem Boden wagten, ich lauschte den Vögeln, die um die Wette zwitscherten, ich genoss auf der Bank die Sonne. Ich spürte, wie sich in mir die Vorfreude auf den Frühling regte, auf das neue Erwachen der Natur, auf das Licht und die kommende Wärme. Ich spürte eine neue Energie und eine Lebendigkeit in mir, wie ich sie über Wochen hinweg nicht empfunden hatte.

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Deutsche Sprache, schwere Sprache

Er soll die Zeit nutzen, sagt seine Klassenlehrerin zu Raman, der seit anderthalb Jahren in Deutschland ist. Er hat große Mühe, sich die deutsche Sprache anzueignen. Während sich andere, die mit ihm angefangen haben, schon mit komplexeren Strukturen auseinandersetzen, kämpft er noch mit dem Präsens. Er hat so gar keinen Zugang zu dieser neuen Sprache. In sechs Monaten wird er die Schule ohne Abschluss beenden. Aber ob er „Nutze die Zeit“ versteht? Da wird etwas von ihm gefordert, diese Energie kommt sicherlich an. Das Wort „Zeit“ versteht er vermutlich auch. Aber was soll er mit der Zeit machen? Putzen, das Wort kennt er schon. Die Zeit … nutzen? … putzen? Was soll das bedeuten.
Weiterhin stelle ich fest, sagt die Lehrerin, dass du sehr oft fehlst. Das Wort „stellen“ kennt er vermutlich: Ich stelle die Flasche auf den Tisch. Aber was haben stelle und oft fehlst miteinander zu tun?
Festgefügte Ausdrücke und zusammengesetzte Verben bilden eine große Hürde in der deutschen Sprache.

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Innerer Kampf

Ich bin total heiser und habe keine Stimme. In der Schule habe ich mich krankgemeldet. Sofort kommt mir die Idee, in die Sauna zu fahren, zumal heute nur Frauensauna ist. Das ist doch auch gut für die Gesundheit, denke ich. Beim Frühstück merke ich, dass ich gar keine Kraft dafür habe. Dort sein, das würde ich schon gerne und mich in der Wärme entspannen. Aber das geht halt nicht ohne zu packen, hinzufahren, einen Parkplatz zu suchen, mich umzuziehen und die Entscheidung zu treffen, in welchen Saunaraum ich zuerst will. Nein, ich brauche noch einen Tag Ruhe. Totale Ruhe. Mich nochmal hinlegen? Schaffe ich das bei dem herrlichen Sonnenschein? Der Körper will Ruhe, keine Entscheidungen treffen, keine Anforderungen. Nichts, wirklich nichts. Welchem Drang gebe ich nach? Der Lust auf Sauna oder dem Ruhebedürfnis des Körpers?

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Belegte Brötchen

Ich bin sonntags abends in der Barbarossa-Bäckerei. Auf dem Tresen neben der Kasse steht eine Kiste mit belegten Brötchen. Ob die billiger abgegeben werden, frage ich den Verkäufer, jetzt, da sie gleich schließen. Nein, das dürften sie nicht, erklärt er mir. Und was passiert dann damit, hake ich nach. „Die werden weggeschmissen.“ Ich bin fassungslos. Die Brötchen sehen noch richtig gut aus und die sollen gleich Müll sein? Für einen Preisnachlass hätte ich sofort einige Brötchen mitgenommen. Warum lässt die Bäckerei gute Ware lieber zu Müll werden als sie preiswerter abzugeben oder an die Tafel zu spenden?

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Neujahrswünsche

In einer Runde bringen wir alle unsere Wünsche für das neue Jahr zum Ausdruck: Eine wünscht sich einen neuen Werkraum, weil der jetzige ihr gekündigt wurde. Eine andere wünscht sich einen guten Verlauf ihrer anstehenden Reise. Eine weitere wünscht sich eine neue Partnerschaft. Eine Vierte wünscht sich, mit ihrer Massagepraxis Erfolg zu haben. Noch eine weitere wünscht sich, weiterhin gesund zu bleiben. Als ich an die Reihe komme, wünsche ich mir, weiterhin meinen Weg zu gehen und den für mich bestimmten Weg zu erkennen.

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Krankmeldung

Ich habe keine Kraft mehr, und das schon seit einiger Zeit. Der Autokauf hat sehr viel Energie gekostet und das grautrübe Wetter ist deprimierend. Ich habe einen ganz ruhigen Nachmittag und gehe früh ins Bett, um am nächsten Tag fit zu sein. Im Bett spüre ich, dass ich einfach nicht mehr kann. Morgen ist mein letzter Unterrichtstag. ‚Das müsste doch zu schaffen sein‘, sagt mein Verstand, ‚die letzten Tage hast du ja auch hingekriegt.‘ – ‚Ich kann nicht mehr‘, sagt der Bauch. Ich bin zunehmend unwirsch zu den Schülern und schnell genervt. ‚Bleib zu Hause, erhol dich‘, sagt der Bauch. ‚Aber du bist nicht wirklich krank. Den letzten Tag schaffst du noch’, kontert der Verstand. Ab wann darf man sich krank melden? Ab wann ist es gerechtfertigt, zu Hause zu bleiben? Meine Schüler sollen doch Deutsch lernen. Aber macht 1 Tag Ausfall einen so großen Unterschied? ‚Wenn du so genervt bist, haben sie eh kein Bock zu lernen.‘ So geht es hin und her. Es wird eine schreckliche Nacht, ich finde keine Ruhe. Am Morgen geht das Hin und Her weiter. Wie soll ich mich nur entscheiden? Ich melde mich schließlich krank. Einer Kollegin schicke ich noch extra eine Textnachricht, um sie zu informieren, dass meine drei DAZ-Schüler*innen heute bitte bei ihr im Unterricht bleiben sollen. Kein Problem, antwortet sie. Sie sei auch krank, aber in der Schule. Jetzt springt mein schlechtes Gewissen wieder an. Sie ist krank und in der Schule. Und ich? Ich falle in einen tiefen Schlaf und merke im Laufe des Tages, dass es die richtige Entscheidung war, zu Hause zu bleiben.

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Neuer Gebrauchtwagen

Mein Auto war inzwischen 18 Jahre alt und verbrauchte übermäßig viel Öl. Ich wußte, dass das kein gutes Zeichen war. Regelmäßig füllte ich Öl nach, das irgendwo im Motor versickerte. So ging das monatelang, bis es anfing, mich zu beunruhigen. Ich begann mich nach einem neuen Gebrauchtwagen umzuschauen. Was für ein Auto wollte ich, fragte ich mich? Und wie viel wollte ich dafür investieren? Am liebsten hätte ich ja nochmal das gleiche Modell gehabt, nur leider wurde das seit 2014 nicht mehr gebaut. Ich schaute mir ein Auto dieser Marke an, es hatte zwar wenig Kilometer, war aber auch schon 16 Jahre alt. Nein, das war es nicht. Ich schaute mir ein anderes an, das auch wenig Kilometer hatte und nur 10 Jahre alt war. Es war sehr gepflegt und in einem sehr guten Zustand. Die Probefahrt war ein Genuss und das Auto hatte jede Menge Ausstattung, die meines nicht hatte, eine Sitzheizung, einklappbare Seitenspiegel und außerdem noch eine tolle Farbe. Leider lag der Preis über meinem Budget und der Verkäufer ging im Gespräch auch nur unwesentlich herunter. Im Internet recherchierte ich später und las, dass der Verbrauch auf 100 Kilometern bei über 7 Litern lag. Vielleicht hätte ich mich auf den Preis noch eingelassen, aber der hohe Benzinverbrauch war ein Ausschlusskriterium.
Die Suche ging weiter. Ich erweiterte sie auf Kleinwagen anderer Marken. Zwei fuhr ich Probe. Der eine sprang erst mit Überbrückungskabel an. Das war natürlich ein Nein für mich. Beim zweiten passte alles: Er fuhr sich gut, er verbrauchte wenig und der Preis stimmte, nur mein Bauch wollte nicht ja sagen. Was hinderte ihn? Ich fand keine Antwort und suchte weiter. Ich las im Internet Beurteilungen von verschiedenen Modellen, fuhr weitere Autos Probe. Es war spannend, unterschiedliche Autos zu fahren – wie anders das Fahrgefühl doch sein konnte! Doch bei keinem von ihnen konnte ich ja sagen. Dann entdeckte ich noch ein Auto, bei dem anscheinend alles stimmte, die wenigen gefahrenen Kilometer, das Alter, der Preis und die Farbe. Ich legte an die 100 Kilometer zurück, um das Auto Probe fahren zu können, von dem ich dachte: das ist es! Vor Ort merkte ich, was ich im Internet schon gelesen hatte, nämlich dass bei dem Auto gespart worden war, und zwar an der Dämmung. Das Auto fuhr sich super, war aber sehr laut. Ich konnte auch hier nicht ja sagen. Ich suchte weiter. Ein Autohaus ganz in der Nähe bot zwei Gebrauchtwagen an. Ich machte einen Termin für eine Probefahrt aus. Das erste Auto fuhr sich wunderbar, war gepflegt, alles andere stimmte auch, aber mein Bauch wollte immer noch nicht ja sagen. Ich stieg in den zweiten Wagen und fuhr die gleiche Strecke noch einmal. Und hatte Lust weiterzufahren. Es machte mir Spaß, mit diesem Wagen zu fahren. Als nächstes nahm ich wahr, wie sich mein Körper entspannte. Das war es. Genau das war es, worauf ich gewartet hatte: dass mein Bauch ja sagte. Ich schlief noch eine Nacht darüber. Auch am nächsten Tag blieb es bei einem guten Gefühl. Am Nachmittag unterzeichnete ich den Kaufvertrag.

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