Christine Wanjura

Neun Minuten

Ich werde im Oktober mit dem Zug nach Kroatien fahren und drei Mal umsteigen müssen. Das letzte Mal in Villach. Dort habe ich 9 Minuten Zeit. Je näher die Ferien rücken, desto mehr mache ich mir Gedanken darüber. Was mache ich, wenn ich den Anschluss verpasse? Ich suche im Internet nach einer späteren Verbindung. An dem Tag gibt es keine weitere Direktverbindung. Übernachte ich in Villach und fahre am nächsten Tag nach Zagreb? Oder nehme ich noch zwei oder drei Mal Umsteigen in Kauf, um an dem Tag noch nach Zagreb zu kommen, jedoch spät nachts? Oder fahre ich weiter nach Ljubljana und übernachte dort? Ich wäge ab, überlege hin und her. Welche Variante sagt mir am meisten zu? Keine wirklich. Und dann habe ich noch eine ganz andere Idee: Warum beschäftige ich mich nur damit, dass ich den Anschluss verpasse? Warum lenke ich meine Energie nicht darauf, dass alles klappen wird? Ich male mir ein inneres Bild aus, wie ich in Villach ankomme und genau auf dem Bahnsteig gegenüber der Zug nach Zagreb steht. Ich steige entspannt in meinen Anschlusszug und erreiche wie geplant Zagreb. So sei es.

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Die kann ich nicht leiden

Das neue Schuljahr hat begonnen. Wir treffen uns zur ersten Dienstbesprechung. Neue Kolleg*innen sind dazugekommen, orientieren sich erst einmal und lernen das Kollegium kennen. Ich stehe am Kaffeeautomaten und höre eine Kollegin im Gespräch sagen: „Die Neue da, die kann ich nicht leiden.“ – „Warum?“, schalte ich mich ein. „Du kennst sie doch gar nicht.“ – „Nee“, sagt sie, „aber guck doch mal.“ Ich sehe eine Frau mit kurzen, schwarzen, gewellten Haaren und Brille, vielleicht Mitte oder Ende dreißig, die sich etwas unsicher umschaut. Ich sehe nichts an ihr, was ich nicht leiden könnte, zumal ich sie ja noch gar nicht kenne. Wie schade finde ich es, dass so schnell ein Urteil gefällt wird und der Person kaum eine Chance gegeben wird.

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Das Liebespaar

In der Stadt findet ein Straßenfestival statt. Ich komme rechtzeitig für eine Nachmittagsvorstellung, um noch einen Sitzplatz zu finden. Es ist noch sehr heiß und ich schaue mich um, welche Plätze im Schatten sind und später auch im Schatten bleiben. Auf einer Bank sehe ich zwei junge Frauen, die offensichtlich ein Liebespaar sind. Ich entscheide mich, mich neben sie zu setzen. Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass sie die Hände nicht voneinander lassen können. Ich freue mich für sie, dass sie einander gefunden haben und die Liebe erwidert wird. Wie schön es ist, zu lieben und geliebt zu werden. Dass es zwei Frauen sind, darüber stolpere ich keine Sekunde lang. Da sind zwei Menschen, die sich lieben und das ist alles, was für mich zählt.
Und noch ein Gedanke taucht in mir auf. Ich möchte ihnen so etwas wie Schutz bieten. Von meiner Seite wird kein böser Blick kommen und kein blöder Kommentar. Von meiner Seite kommt nur Wohlwollen.

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Die Königin des Gartens

Im Tierreich gibt es einen König, den Löwen. In meinem Garten gibt es eine Königin, die Tomate. Ich betrachte es wirklich wie eine Wissenschaft sie großzuziehen. Am Anfang steht das Herauspulen der Samen aus meiner Lieblingssorte. Die müssen dann getrocknet werden. Im Frühjahr setze ich sie auf der Fensterbank in Töpfe und ziehe sie bis zu den Eisheiligen dort groß. Tomaten sind sehr kälteempfindlich und sollten erst danach rausgesetzt werden. Weil mir letztes Jahr wegen des vielen Regens alle an der Braunfäule eingegangen sind, habe ich im Frühjahr ein Dach gebaut, um sie vor der Nässe zu schützen. Viele Gedanken flossen in die Überlegung, wie ich eine Überdachung konstruieren könnte. Es dauerte eine ganze Weile, bis ich die Idee durchdacht hatte und noch eine weitere Weile, bis das Dach dann endlich stand. Zwölf Pflanzen passten darunter, weitere Tomaten, die ich geschenkt bekam, musste ich ohne Schutz ins Freie setzen. Vielleicht hatten sie und ich ja Glück und dieser Sommer würde nicht so nass werden. Erst wuchsen die Pflanzen in die Höhe und in die Breite. Ich stützte sie mit Tomatenstangen ab. Dann kamen die Blüten, und schließlich wurden winzig kleine grüne Früchte sichtbar, die größer und größer wurden, bis manche Pflanzen schwer an ihren pampelmusengroßen Früchten trugen. Ich hegte und pflegte sie, goss und düngte sie. Und dann endlich, Mitte August, bekamen die ersten Tomaten eine leichte Rotfärbung. Und bald schon konnte ich die erste Königin des Gartens genießen!

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Die Luftmatratze

Für den Campingurlaub bestelle ich mir im Internet eine 1,20 m breite Luftmatratze mit einem eingebauten Luftkissen zum Aufpumpen. Ich nehme noch meine schmale Luftmatratze mit. Man weiß ja nie! Angekommen auf dem Campingplatz in der Nähe von Taizé baue ich das Zelt auf, pumpe die neue Matratze auf und richte mein Bett für die Nacht. Als ich später schlafen gehen will, ist die Luftmatratze platt. Was ist das denn, denke ich. Wieder pumpe ich sie auf. Schon beim Aufpumpen höre ich ein Zischen. Irgendwo entweicht Luft. OK, da gibt es noch zwei Ventile und eins ist nicht ganz fest zugedrückt. Na, wenn es nur das Problem ist … Ich drücke also das undichte Ventil fest zu und pumpe wieder auf. Ich lege mich müde von der langen Fahrt hin. Nach einer Zeit, ich habe im Zelt keine Uhr, liege ich auf dem blanken Boden. Oh nein – und jetzt? Ich will doch einfach nur schlafen. Ich stehe auf und pumpe die Matratze wieder auf. Das Spiel wiederholt sich, die Luft entweicht unmerklich und ich liege wieder auf dem Boden. Ich pumpe wieder auf und da ich so müde bin, schlafe ich irgendwann ein.
Morgens wache ich auf dem blanken Boden auf. Ich bin so frustriert. Da habe ich eine neue Luftmatratze gekauft und sie ist undicht. Jetzt muss ich mich, wenn ich wieder zu Hause bin, um die Rückgabe kümmern. Aber was für ein Glück, dass ich die schmale Luftmatratze mitgenommen habe. Als hätte ich es geahnt. Ich schlafe die restlichen Nächte nicht sonderlich bequem, aber ich schlafe nicht auf der harten Erde. Wieder zu Hause, suche ich die Bestellung der Matratze raus und schreibe dem Hersteller ein Mail. Ich solle doch ein Foto des Problems schicken. Was? Soll ich die Matratze einmal aufgepumpt und einmal leer fotografieren? Na gut, wenn ich dann mein Geld zurückerstattet bekomme, mache ich das. Wo am besten mache ich das, überlege ich. Draußen auf einer Wiese? Danach muss ich ja solange warten, bis sie leer ist. Ich entscheide mich schließlich, im Wohnzimmer Stühle aus dem Weg zu räumen und sie dort aufzupumpen, dann kann ich wenigstens nebenher noch andere Sachen machen. Als ich nach einer ganzen Weile nachschaue und teste, ist immer noch Luft drin. Auch Stunden später und auch als ich mich wiederholt drauflege, hält die Luftmatratze die Luft. Wie kann das sein, dass sie im Urlaub nicht dicht war? Ich bin auch nicht eine Sekunde lang auf die Idee gekommen, sie dort am nächsten Tag im Hellen und nicht so müde noch einmal zu testen.

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Die Mitbringsel

Zu Hause treffen wir uns sonntags nach der Messe immer in einer lockeren Gruppe von 8-10 Personen, die noch zusammensitzen und plaudern. Ich habe dort erzählt, dass ich nach Taizé fahre. Eine Frau bat mich, ihr ein Kreuz mitzubringen. Ja, sagte ich, das mache ich gerne. Ein anderer fragte mich, ob ich sein Kreuz, das er geschenkt bekommen hatte, mitnehmen würde, damit es noch mal nach Taizé käme. Ja, auch das würde ich gerne machen. In Taizé, im Verkauf der Gemeinschaft, überlegte ich dann, ob ich nicht allen ein Kreuz mitbringen sollte. Meine Gedanken gingen hin und her. Ja, es wäre bestimmt eine schöne Geste, für alle etwas mitzubringen. Und gleichzeitig merkte ich, dass das für mich bei zwei Personen der Gruppe nicht stimmig sein würde. Ich konnte gar nicht genau erklären warum, vielleicht, weil zwischen uns mehr Distanz war, weniger Wärme? Ein innerer Dialog begann. Diese Geste könnte ja auch eine Brücke bauen, wendete eine Stimme ein. Sei nicht so kleinlich. Aber, konterte eine andere Stimme, ich merke da einen inneren Widerstand. Der Widerstand gewann. Aber ich bin mir bis heute nicht sicher, ob das die richtige Entscheidung war.

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Taize II

So viele Menschen unterschiedlicher Herkunft, Sprache und Aussehen kommen hier zusammen. Da sind junge und alte, große und kleine, schmächtige und breite, korpulente und hagere, blonde, braune, rot- und grauhaarige. Und vermutlich haben alle etwas an sich auszusetzen, finden sich ein wenig zu viel von etwas oder zu wenig von etwas. Kein Baum vergleicht sich mit einem anderen, keine Blume misst sich mit einer anderen. Jede erblüht in ihrer vollen Schönheit ohne den Zweifel, sie sei nicht perfekt oder nicht so schön wie die Nachbarblume. Ich betrachte die Menschen um mich herum und finde sie alle schön, perfekt in ihrer eigenen Art. Wie schade ist es, dass wir an uns zweifeln.

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Stadtbesichtigung

Ich betrete das Museum. Die Dame an der Kasse bietet mir einen Hörführer an. Ich lehne dankend ab. Ich möchte eigene Eindrücke sammeln. Kein Problem, antwortet sie. Als ich das Museum verlasse, bietet mir dieselbe Person einen Stadtplan an, falls ich noch durch die Stadt bummeln wolle. Wieder lehne ich dankend ab. Ich möchte gerne nach Herzenslust herumschlendern. Wenn ich an eine Straßenecke komme, schaue ich, ob mir die Gasse links gefällt, dann biege ich links ab, gefällt mir die Gasse rechts, biege ich rechts ab. Ich muss nicht alles gesehen haben, was auf dem Stadtplan markiert ist, um einen Eindruck zu gewinnen. Vielleicht verpasse ich etwas und vielleicht entdecke ich auch etwas, was nicht auf dem Plan steht. Zum Beispiel ein süßes kleines Café, wo die Gäste selbst die Preise für ihre Getränke bestimmen.

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Taizé I

So viele Menschen aus aller Welt kommen hier zusammen, meist Jugendliche, aber nicht nur. Ein Sprachengewirr umgibt mich, Sprachen, die ich verstehe und welche, die ich nicht einmal zuordnen kann. Es herrscht ein unglaubliches Gewusel, überall sind Menschen in kleinen oder großen Gruppen, einzelne oder Paare, die schreiben, lesen oder ihr Handy in der Hand halten oder dösen. Und dann, zur Zeit des Gebets, finden sich alle, vielleicht 2000 Menschen in der Kirche zusammen, in Stille. Und im Singen schließlich verbindet uns trotz unserer Unterschiedlichkeiten und den verschiedenen Stimmlagen etwas Größeres und wir verschmelzen für diesen Moment zu einer Einheit.

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Zelten IV

Abend auf dem Zeltplatz. Ein schreiendes Kleinkind, Nachbarn, die beim Aperitif sitzen, andere, die grillen. Hinter der Trennhecke höre ich jemanden am Wohnwagen wurschteln. Andere sind schon beim Spülen an den öffentlichen Spülbecken oder laufen mit einem Handtuch um den Hals zu den Duschen. Ein Ehepaar sitzt bei Tisch und isst gepflegt zu Abend. Alles spielt sich draußen ab. Man sieht, wann die Menschen essen und welche Flaschen auf dem Tisch stehen. Hier treffen Länder und Kulturen aufeinander. Neben mir campt ein holländisches Paar, daneben Spanier. In der Nachbarallee sind Schweizer und noch mehr Holländer und viele Franzosen und auch viele Familien mit Kindern. Auf kurze Zeit sind wir eine kleine Völkergemeinschaft, die lebt und leben lässt.

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