Christine Wanjura

Zuversicht

Was gibt dir Zuversicht, fragt mich der Seminarleiter und fordert uns zu einem Austausch zu zweit auf. Wo finde ich Zuversicht, frage ich mich, während wir beide überlegen? Und mir fällt mein Garten ein. Der Garten ist mein Vorbild für den Zyklus im Jahresablauf. Die Jahreszeiten wechseln sich ab, es ist nicht immer nur Winter oder Sommer. Es folgt eine Zeit der Ruhe im Winter. Dann folgt die Zeit des Erblühens und der Aussaat. Daran schließt sich die Zeit der Fülle an Farben, an Früchten und Düften an. Nach der Fülle kommt die Zeit der Ernte und schließlich kommt wieder alles zur Ruhe. Dieser Rhythmus gibt mir eine tiefe Zuversicht im Hinblick auf den Ablauf von Höhen und Tiefen, von Dunkel und Hell, von Freude und Trauer. Von diesen Bildern erfüllt beginne ich das Gespräch.

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Was stinkt hier?

Ich fahre nach einem Einkauf bei ‚dm‘ nach Hause. Irgendetwas im Auto stinkt nach Chemie. Ich überlege: Ich habe Katzenfutter gekauft. Das kann es nicht sein. Ich habe Dosen mit Tomaten gekauft. Auch das kann nicht stinken. Ich habe Waschpulver gekauft. Ein biologisch abbaubares Produkt. Nein, auch das kann nicht so penetrant nach Chemie riechen. Und dann dämmert es mir. Ich war vor dem Einkauf beim Frisör und habe mir ausnahmsweise auch noch die Haare waschen lassen. Es sind meine Haare, die vom Shampoo einen so penetranten chemischen Geruch haben. Ich finde es unerträglich und bin genervt, sie mir zu Hause nochmal waschen zu müssen.

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Gendergerechtigkeit

Ich bin immer wieder dankbar, in diesem Land geboren und hier aufgewachsen zu sein. Für meine Eltern war Bildung für alle ihre Kinder wichtig, Junge wie Mädchen. Wir haben alle Abitur gemacht und studiert. Mein Bruder musste vielleicht weniger im Haushalt helfen als wir Mädchen, er hat später aber selbst kochen gelernt und den Haushalt mit seiner Frau geteilt. Ich darf ohne die Erlaubnis eines Ehemannes oder Vaters meinen Beruf frei wählen. Ich darf Auto fahren. Ich darf wählen. Ich kann mich kleiden wie ich will und im Sommer kurzärmelige T-Shirts, Röcke oder Shorts tragen. Vielleicht oder sogar sicher verdiene ich weniger als ein Mann in meiner Stellung. Und dann höre ich Zahlen über die Verteilung von Männern in Führungspositionen: 90% der Städte und Gemeinden haben Bürgermeister, 80% der Unternehmen haben keine Frau im Führungspersonal, die Parlamente in Deutschland und Europa werden von Männern dominiert, 95% der Zeitungsredaktionen, 75% der Unis, 88% der Bundeswehr und 84% der Bundespolizei werden von Männern geleitet. Ich erschrecke über die Zahlen.

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Leyla

Leyla ist seit gut einem Jahr in Deutschland. Sie kann weder lesen noch schreiben, weder in ihrer Muttersprache Arabisch noch in Deutsch. Sie ist in der sechsten Klasse und ich bringe ihr erstmal Lesen und Schreiben bei. Sie lernt ohne jede Begeisterung. In Klasse 7 liest sie immer noch sehr holprig und stolpert auch noch über Wörter, die sie schon kennt. Auf einer Seite, die ich mit ihr lese, steht viermal das Wort ‚gerne‘. Beim ersten Lesen braucht sie eine Ewigkeit, daraus das Wort ‚gerne‘ zu formulieren. Als sie zum zweiten Mal auf das Wort stößt, denke ich, dass sie es doch wiedererkennen müsste. Doch nein, sie rätselt über die fünf Buchstaben, als hätte sie das Wort noch nie gesehen. Ich werde unruhig. Ich zeige ihr, dass sie das Wort zwei Zeilen vorher schon einmal gelesen hat. Dann taucht das Wort zum dritten Mal auf der Seite auf. Jetzt müsste es aber doch klappen, denke ich. Und wieder rätselt sie am dem Wort herum, als hätte sie es vorher nie gesehen. Ich bin ratlos. Wieder zeige ich ihr, dass sie das Wort jetzt schon zwei Mal vorgelesen hat. Wieder reagiert sie gelangweilt. Ich werde laut. Was ist heute los mit dir? Wo ist dein Kopf? Sie schaut mich mit Unverständnis an. Was soll ich nur tun, frage ich mich. Sie soll doch lesen lernen, denke ich und wenigstens ein paar Sätze auf Deutsch sprechen können. Wie will sie sich denn nur verständigen und ihren Weg hier finden?

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Lärm

Am Montag sitze ich am Schreibtisch und will den Unterricht für den nächsten Tag vorbereiten, als etwas vor meinem Fenster kracht und scheppert. Ich beachte es nicht weiter und konzentriere mich auf meine Vorbereitungen. Wieder scheppert es. Wieder reißt das Geräusch mich raus. Wieder lenke ich meine Konzentration auf meine Arbeit. Es kracht erneut. Und noch einmal. Und noch einmal. Was passiert da draußen nur, frage ich mich. Es gelingt mir nicht, das Krachen zu ignorieren. Jetzt bin ich endgültig raus. Durch das Wohnzimmerfenster sehe ich, dass Möbel aus einem Stockwerk über mir vor das Haus geworfen werden. Männer in Arbeitskleidung tragen die Teile in einen Kleintransporter mit der Aufschrift ‚Entrümpelung‘. Etliche Stunden setzt sich das so fort und ich finde erst am späten Abend in die Ruhe, den Unterricht weiter vorzubereiten.

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Ferienende

Sechs Wochen konnte ich frei entscheiden, was ich machen wollte und wann ich es machen wollte. Ich konnte mich stundenlang im Garten aufhalten und dort herumwerkeln, ich konnte ins Freibad fahren oder ein Buch lesen, ohne auf die Uhr zu schauen. Und jetzt hieß es wieder, mich in das Zeitkorsett der Schule zu zwängen. Ich fuhr zur ersten Dienstbesprechung am letzten Ferientag und spürte genau, wie sich mein Atemrythmus veränderte. Innerlich musste ich mich wieder auf eine feste Zeitstruktur einstellen. Das freie Fließen meiner Energie hatte ein Ende und die Inhalte, auf die ich meine Konzentration richtete, waren nun wieder vorherbestimmt. Ich musste mich mit Situationen und Konflikten beschäftigen, die in meinem Privatleben nicht vorkamen.

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Pechsträhne

Angefangen hat es mit dem Auto. Die Tür hinten links ließ sich nicht mehr mit der Zentralverriegelung schließen. Es war die Tür, die ich neben der Fahrertür am meisten nutze. Ich musste den Knopf an der Tür zum Öffnen nach oben und zum Schließen nach unten drücken. Oft vergaß ich das und die Tür blieb unverschlossen. Ich ging also in meine gewohnte Werkstatt.“ Ja, das kann viel sein“, sagte der Mechaniker, „wenn Sie das ausbauen, schaue ich mir das an.“ Ich? Das Türschloss ausbauen? Dazu fiel mir nichts mehr ein. Die nächste Werkstatt machte mir einen Kostenvoranschlag von 380 Euro. Nein, auch das würde ich für die Reparatur nicht investieren. Die dritte KFZ-Werkstatt wollte 120 Euro, um sich die Tür „erst einmal genauer anzuschauen“. Da fragte ich mich, wie wichtig mir die Reparatur war. Sollte ich mich vielleicht daran gewöhnen, diese eine Tür von Hand zu öffnen und zu verschließen?
Dann fing mein Drucker an zu streiken. Ich konnte mit Hilfe von Youtube-Videos den Tintenauffangtank öffnen und die Pads darin ersetzen, aber der Drucker ließ sich nicht auf Null zurücksetzen. Na gut, dachte ich, ich brauchte auch nichts zu drucken, bis die Schule wieder anfängt.
Am Tag, bevor ich in Urlaub fahren wollte, ging ich zur Bank, um Geld abzuheben. Ich überprüfte erst meine Kontoein- und -ausgänge. Als ich meine EC-Karte in den Geldautomaten steckte, kam auf dem Bildschirm die Information: ‚Mit dieser Karte können keine Transaktionen durchgeführt werden. Wenden Sie sich bitte an Ihre Bank.‘ Ich war verblüfft. Was war denn jetzt los? Ich probierte andere Automaten, überall das gleiche. Und jetzt? Es war Freitagabend und ich wollte am nächsten Tag fahren. Ich nahm also stattdessen meine Kreditkarte mit. Wie war gleich nochmal die PIN?
Jetzt reichte es wirklich. Aber nein, entschied ich, ich lasse mich von der Pechsträhne nicht aus der Ruhe bringen. Es wird sich alles regeln lassen. Ich bleibe gelassen und gehe eins nach dem anderen an.

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Donauwelle

Wir wandern im Pfälzer Wald und kommen mittags in einer Wanderhütte an. Wir stehen an der Theke und bestellen Essen. Hinter der Theke in der Küche sehe ich, wie jemand eine Donauwelle in den Kühlschrank stellt. Die bestelle ich mir nach dem Mittagessen, denke ich. Während wir auf das Essen warten, studiere ich das Kuchenmenü auf der Tafel an der Wand: Frankfurter Kranz, Mandarine-Quark und Marmorkuchen, steht dort in Drucklettern. Wir essen und bestellen danach Kaffee und Kuchen. „Ich glaube, auch Donauwelle gesehen zu haben,“ sage ich zu ihm, „auch wenn die nicht auf der Tafel stand.“ „Doch, doch“, sagt er, „die stand handschriftlich unter den anderen Kuchen.“ Ich schaue nochmal hin. Tatsächlich, da steht sie, Donauwelle. Ich bin perplex. Warum habe ich das übersehen? Anschließend frage ich mich: Was übersehe ich alles und bemerke es nicht?

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Bereichert

Ich lese gern, schon immer. Es gibt immer ein Buch, in dem ich gerade lese. Selten kommt es vor, dass ich gerade keins lese. Wenn doch, dann meist, wenn ich eins fertig gelesen habe und mich noch kein neues in den Bann gezogen hat. Ich liebe es, in die Bibliothek zu gehen. Dort kann ich nach Lust und Laune herumschmökern. Meist gehe ich dann mit vier bis sechs Büchern nach Hause, um eine Auswahl zu haben. Ich kann sie wieder zurückbringen und sie nehmen mir später keinen Platz in meinem Regal weg. Ich öffne jedes Buch mit der Neugier, wohin es mich wohl führen wird. Wem werde ich begegnen, was werde ich kennenlernen? Es ist eine Tür in eine neue Welt. Ich tauche in andere Länder, andere Zeiten und andere Leben ein. Ich fühle mich an die Hand genommen und ich werde durch mir Unbekanntes geführt. Ich kann Stunden dort verweilen oder auch nur mal zwei Seiten. Ich lerne Menschen und Lebenssituationen kennen, die außerhalb meines Horizonts liegen. Ich fühle mich durchs Lesen mal beglückt, mal überrascht … mal erschüttert, mal betrübt … mal verwundert. Aber immer bereichert.

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Sommerferienglücksmomente

Morgens früh aufwachen und nicht aufstehen müssen. Einen Tee machen, mich wieder hinlegen und das Buch weiterlesen, bis mich der Frühstückshunger aus dem Bett treibt.
An einem heißen Sommertag irgendwo mitten im Wald auf einer Wanderung im Schatten Pause machen und den Duft des Harzes genießen, den die Bäume verströmen.
Die Fülle der mich reich beschenkenden Natur im Garten betrachten. Den gelben Zucchinis und orangenen Kürbissen, die durch ihr Blattwerk hindurchleuchten, zulächeln.
Im Garten in die Abendstimmung des sich neigenden Tages eintauchen. Der untergehenden Sonne nachschauen. Wahrnehmen, wie sich Vögel und Insekten langsam zurückziehen. Die zunehmende Ruhe und das schwindende Licht in mich aufnehmen.
Morgens barfuß durch das nasse Gras laufen. Die tausend kleinen Tautröpfchen an den Grashalmen bewundern.
Barfuß in den Beeten laufen. Die von der Sonne aufgeheizte Erde unter den Fußsohlen spüren. Sanft in ihr einsinken.
Gehalten werden.

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